455 I. Das Landesstaatsrecht.
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keiner Weise als Mandat seiner Wähler zu betrachten. Sobald
diese den Wahlakt vollzogen haben, hört juristisch jedes beson-
dere Band zwischen ihnen und ihrem Erwählten auf; er steht zu
seinem Wahlkreise in keinem andern Verhältnisse, als zu jedem
andern Theile des Volkes oder Staates.
Wie er an keine Instruktionen und Aufträge seiner Wähler ge-
bunden ist, so ist er ihnen auch in keiner Weise verantwortlich.
An die Stelle der völlig verwerflichen Mandatstheorie ist die
allein staatsrechtlich korrekte Auffassung zu stellen, nach welcher
der Beruf der Volksvertreter als ein öffentliches Amt. munus
publicum, zu betrachten ist. Allerdings ist die Wahl die regel-
mässige Form der Ernennung der Volksvertreter, ja eine wahrhaft
bedeutsame Volksvertretung lässt sich nicht denken, wo nicht ein
Theil und zwar der grösste 'Iheil der Volksvertreter durch den Ver-
trauensakt der Volkswahl emannt wird; aber keineswegs braucht
diese Berufungsart die einzige zu sein; die Verfassung kann auch
einzelne Glieder des Landtages erblich berufen oder dem Staats-
oberhaupte die Berufung auf Lebenszeit einräumen. Trotz dieser
möglichen Verschiedenheit der Berufungsart sind alle Berufenen
gleichmässig Volksvertreter, welche ein öffentliches Amt aus-
üben. Der Inhalt dieses Amtes besteht lediglich darin, dass der
Volksvertreter nach seinem besten Wissen und Gewissen mitwirken
soll, durch seine Betheiligung an der Berathung und Beschluss-
nahme der volksvertretenden Versammlung, der richtig verstandenen
volksthümlichen Ueberzeugung über das Beste des Staates und das
Wohl der Gesammtheit Ausdruck zu geben und bei Leitung der
öffentlichen Angelegenheiten, der Regierung gegenüber, möglichst
praktische Geltung zu verschaffen.
2) Nach deutschem Staatsrechte ist die gesammte Staatsgewalt
im Staatsoberhaupte vereinigt, sein Wille ist der Staatswille (S. 190).
Derselbe soll aber kein willkürlicher, subjektiver, sondern ein ob-
jektiv bestimmter sein, d. h. bei den wichtigsten Funktionen der
Staatsgewalt soll er gebunden sein an die Mitwirkung selbständiger
Organe, von denen die Volksvertretung bei weitem das wichtigste
ist. Nach deutschem Staatsrechte haben die Kammern keinen An-
theil an der Souveränetät; sie üben keine Mitregierung, kein coim-
perium, wie die Reichsstände im weiland deutschen Reiche. Ihre
einzelnen Glieder, wie ihre Gesammtheit, sind Unterthanen des
Staatsoberhauptes. Aber innerhalb ihrer verfassungsmässigen Sphäre
sind sie völlig unabhängig von seinen Befehlen und haben nur nach