Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

462 I. Das Landesstaatsrecht. 
sen, Württemberg, baden, Hessen-Darmstadt. Von den im Jahre 
1866 erloschenen Staaten besass es das Königreich Hannover, wäh- 
rend es der kurhessischen Verfassung fremd geblieben war. Den 
kleinern deutschmonarchischen Staaten fehlte es durchweg an dem 
politischen Material für die Bildung einer ersten Kammer sodass 
sie sich mit Einer Kammer begnügen mussten. Ohne uns mit den 
politischen Vorzügen dieses oder jenes Systems zu beschäftigen, 
heben wir hier nur die eigenihümlichen staatsrechtlichen Grund- 
sätze des Zweikammersystems hervor. 
Beide Abtheilungen der Volksvertretung bestehen als zwei 
Kollegien nebeneinander, welche nach ihrer eigenen Kollegialver- 
fassung selbständig berathen und beschliessen, aber doch insofern 
wieder eine Einheit bilden, dass sie nur gleichzeitig berufen, er- 
öffnet, vertagt und geschlossen werden können. Fundamentalsatz 
des Zweikammersystems ist, dass beide Kammern ın allen 
zuihrem Wirkungskreise gehörigen Angelegenheiten 
vollständig übereinstimmen müssen, wenn ıhre Be- 
schlüsse, der Regierung wie dem Volke gegenüber, als 
verfassungsmässiger Ausdruck des Willens der Volks- 
vertretung, als Volkswiılleinstaatsrechtlichem Sinne 
gelten sollen. In negativer Beziehung genügt da- 
gegen schon der Widerspruch eines Hauses, um eine 
der Zustimmung der Volksvertretung bedürftige 
Massregel zurückzuweisen. Wenn beide Kammern sich 
über eine Vorlage nicht einigen können, so ist kein Beschluss zu 
Stande gekommen, doch giebt es in einzelnen Verfassungen Vor- 
schriften, welche den Zweck haben, eine Einigung beider Kammern 
herbeizuführen. So werden in Württemberg und Baden, wenn 
das von der zweiten Kammer angenommene Budget von der ersten 
Kammer abgelehnt ist, die Stimmen in beiden Kammerm zusammen- 
gezählt und nach der Mehrzahl sämmtlicher Stimmen wird alsdann 
der Ständebeschluss gefasst. Auch wird in Württemberg, wenn die 
eine Kammer nicht vollständig zusammenkommt, dieselbe als ein- 
willigend in die Beschlüsse der andern angesehen. Strenger wird 
der Fundamentalsatz des Zweikammersystems in Preussen gewahrt, 
wo eine Durchzählung der Stimmen beider Kammern unbekannt 
ist. Nurin zwei ausserordentlichen Fällen findet in Preussen eine 
wirkliche Vereinigung beider Häuser der Volksvertretung statt, 
um einen gemeinsamen Beschluss zu fassen, nemlich wenn über die 
Frage der Nothwendigkeit einer Regentschaft zu entscheiden ist
	        
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