Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

5. Von der Volksvertretung oder dem Landtage. 495 
legien zu bestehen. Durch die Schliessung, im Gegensatze zur 
blossen Vertagung, werden alle begonnenen Geschäfte des Land- 
tages abgebrochen und können nicht ohne eine besondere Veran- 
lassung in der neuen Sitzungsperiode wieder aufgenommen werden. 
Alle Gesetzesvorschläge, Anträge und Petitionen sind mit dem Ab- 
laufe der Sitzungsperiode, in welcher sie eingebracht und noch nicht 
zur Beschlussnahme gediehen sind, mit dem Landtagsschlusse für 
erledigt zuachten. Nach diesem Princip der Diskontinui- 
tät bildet jede Sitzungsperiode ein abgeschlossenes 
Ganze für sich. 
c. Auflösung. 
Während die Schliessung den Kammern in ihrer Gesammt- 
heit den kollegialen Charakter entzieht, den einzelnen Mitglie- 
dern, als solchen, aber ihre Eigenschaft belässt, geht die Auflösung 
einen Schritt weiter, indem sie allen gewählten Mitglie- 
dern der Volksvertretung ihren Abgeordnetencha- 
rakter entzieht und sie wieder zu einfachen Staats- 
bürgern macht. Das der altständischen Verfassung unbekannte 
Auflösungsrecht gehört ganz dem Gedankenkreise des modernen 
konstitutionellen Staatsrechtes an, welches das organische Zusam- 
menwirken der Staatsregierung und der Volksvertretung bei den 
wichtigsten Funktionen der Staatsgewalt verlangt. Voraussetzung 
hierfür ist die Uebereinstimmung zwischen diesen beiden Organen 
wenigstens in den wichtigsten, unmittelbar praktischen Staatsfragen. 
Fehlt eine solche vollständig und ist an ihre Stelle ein dauerndes 
Missverständniss oder eine unbesiegliche persönliche Verbitterung 
getreten, so ist das Staatswohl ernstlich gefährdet. In einem sol- 
chen Falle ıst der Monarch, welcher im konstitutionellen Staate 
über den Parteien stehen und auch seinem eigenen Ministerium 
gegenüber eine vorurtheilsfreie Stellung bewahren soll, recht eigent- 
lich zu einem persönlichen Eingreifen berufen, um den staatsver- 
derblichen Konflikt zu lösen. Zu diesem Zwecke stehen ihm zwei 
Mittel zu Gebote, Ministerwechsel und Auflösung des 
Landtages. Das erste Mittel stellt die Einigkeit dadurch her, 
dass das mit der Volksvertretung in Zwiespalt gerathene Ministe- 
ıjum entlassen und ein aus der Mehrheit hervorgegangenes oder 
wenigstens mit ihr in Einklang stehendes Ministerium gebildet wird. 
Ein solches Verfahren setzt aber voraus, dass wirklich eine einheit-
	        
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