Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Anhang. Verfassung der drei freien Städte. 507 
zogen; wohl aber steht ihm die Oberaufsicht über sämmtliche Ge- 
richte, die sog. Justizhoheit zu, woraus auch sein Begnadigungs- 
recht fliesst. Er übt nach der Reichsverfassung die Rechte des 
Kontingentsherrn über das Kontingent der betreffenden Stadt aus, 
soweit nicht besondere Konventionen ihn darin beschränken, ebenso 
die Aufsicht über die bürgerlichen und religiösen Gemeinden, ver- 
tritt den Staat in seinem Verhältnisse zum deutschen Reiche und 
zum Auslande und leitet die auswärtigen Angelegenheiten, ernennt 
die höheren Beamten, soweit nicht andern Behörden Wahlrechte 
beigelegt sind. Kurz, ıhm steht »die Leitung sämmtlicher 
Staatsangelegenheiten zu, soweit nicht die Verfassung eine 
Mitwirkung oder Zustimmung der Bürgerschaft oder des Bürger- 
ausschusses vorschreibt« (Lübeck 1875, A. 18). 
V, Die Bürgerschaft. 
Den älteren hanseatischen Verfassungen war eine eigentliche 
Repräsentation der Bürger fremd; vielmehr trat die Ge- 
sammtheit der überhaupt stimmfähigen Bürger als Bürgerschaft 
auf. Erst die neuern Verfassungen haben eine Vertretung der Bür- 
ger geschaffen, welche aus Wahlen hervorgeht und in ähnlicher 
Weise gebildet wird, wıe die Volksvertretung in den monarchischen 
Staaten. 
A. In Lübeck war die ganze stimmführende Bürgerschaft, bis 
zum Jahre 1848, inzwölf Kollegien eingetheilt. Diese waren: 
Ll) die Junker- oder Zirkelkompagnie, das Patriciat, 1379 gestiftet, 
1485 vom Kaiser bestätigt, 1809 als bürgerliches Kollegium einge- 
gangen; 2) die Kaufleutekompagnie, 1450 als patricische Innung 
gestiftet, erst nach 1669 handeltreibend; 3) die Schonenfahrer, das 
erste »kommercirende Kolleg«, leitete die Angelegenheiten der Bür- 
gerschaft; 4—7) die Nowgorodfahrer, Bergenfahrer, Rigafahrer, 
die Stockholmfahrer; 8) die Gewandschneider (Tuchhändler ; 9' die 
Krämer; 10) die Brauerzunft; 11) die Schiffergesellschaft; 12) die 
vier grossen Aemter: Schmiede, Schneider, Bäcker, Schuster, wel- 
chen die übrigen zugeordnet waren. Jedes Kollegium berathschlagte 
und beschloss für sich und hatte eine Stimme in den zur Mitbe- 
rathung der Bürgerschaften gehörenden öffentlichen Angelegen- 
heiten. Die Mehrzahl der Kurialstimmen ergab das Votum der Bür- 
gerschaft. Die Verfassung von 1848 führte eine Vertretung der 
Bürgerschaft ein, theilte aber die zur Wahl berechtigten Bürger zum
	        
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