Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

522 II. Von der Funktionen des Staatsorganismus. 
Landstände, vorgängigen Beirath und ihre Einwilligung nicht er- 
lassen werden dürfen«. Kürzer, jedoch wesentlich gleichbedeutend 
ist die Bestimmung der bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818, 
Tit. VII. $& 2: »Ohne Beirath und Zustimmung der Stände kann 
kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freiheit der Person 
oder das Eigenthum der Staatsangehörigen betrifft, erlassen, noch 
ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert oder auf- 
gehoben werden«. Dasselbe bestimmt fast wörtlich die badische 
Verfassung vom 22. August 1818, $ 65. Einen weiteren Schritt that 
zuerst die württembergische Verfassungsurkunde vom 25. September 
1819. Kap. VII. $ 88, indem sie ausspricht: »Ohne Beistimmung 
der Stände kann kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert 
oder authentisch erläutert werden«. Hier wird zum ersten Male der 
Versuch aufgegeben, das ständische Zustimmungsrecht auf ge- 
wisse Gegenstände der Gesetzgebung zu beschränken und den 
Ständen ein Zustimmungsrecht bei allen Gesetzen ohne Unter- 
schied des Gegenstandes zugestanden. Die württembergische For- 
mel findet sich in vielen Verfassungen vor dem Jahre 1848 wieder, 
so z.B. in der kurhessischen vom 5. Januar 1831, $ 95, in der 
grossherzoglich hessischen vom 17. December 1820, $ 72, während 
in anderen Verfassungen dieser Zeit, z. B. ın der sachsen-altenbur- 
gischen vom 29. April 1831, $ 201, und der sachsen-meiningischen 
vom 23. August 1829, Art. 88, die ältere weimarisch-bayerische 
Formel zu Grunde liegt. Erst seit dem Jahre 1848 drang die Formel 
der französischen Charte vom 4. Juni 1814, $ 15 in Deutschland, 
und zwar zuerst in die preussische Verfassung, Art. 62, ein: »Die 
gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch 
den König und beide Kammern ausgeübt, die Ueber- 
einstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Ge- 
setze erforderlich«, welche indessen, richtig verstanden, nichts 
Anderes besagt, als die bis dahin übliche Formel der württem- 
bergischen und ähnlicher Verfassungen. Jedenfalls steht bei dieser 
Formulirung, welche auch in die deutsche Reichsverfassung über- 
gegangen ist, fest, dass man nicht, wie in den älteren Verfas- 
sungen, den Kammern nur ein Mitwirkungsrecht bei gewissen 
Arten der Gesetze einräumen, sondern dass man ihr Zustimmungs- 
recht auf alle Gesetze ohne Ausnahme erstrecken wollte. Selbst- 
verständlich braucht die Verfassungsurkunde das Wort »Gesetz« 
hier im materiellen Sinne des Wortes. Während die älteren Ver- 
fassungen (Bayern, Baden, Weimar u. s. w.) immer nur bestimmte
	        
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