540 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
Mit dieser rechtsschützenden Thätigkeit begnügt sich
aber kein Staat. Selbst der unvollkommenste sorgt für seine Fi-
nanzen, übt militärischen Befehl und gewisse Verrichtungen der
Sicherheitspolizei. Den sich weiter entwickelnden Staat nehmen
die Kulturinteressen, die Sorge für Bildung und Wohlstand des
Volkes immer mehr in Anspruch. Hier sind es ganz andere Mo-
tive und Erwägungen, welche den Staat leiten, als bei jener ersten
Richtung seiner Thätigkeit. Recht und Gesetz sollen das Staats-
leben in allen seinen Funktionen beherrschen, die ganze Staats-
thätigkeit soll eine gesetzliche sein. Dennoch nimmt der Staat
eine andere Stellung zum Gesetze ein, wenn er Recht spricht und
Recht schützt, als wenn er Kulturinteressen fördert, für das Heer
sorgt, auswärtige Angelegenheiten leitet. Im ersteren Falle bilden
Recht und Gesetz das ausschliessliche positive Princip seiner
Thätigkeit, im zweiten Falle nur die negative Umgrenzung, in-
nerhalb deren er sich von Erwägungen der Nothwendigkeit, der
Zweckmässigkeit, des Staatswohles leiten lässt. Ueber diese Mo-
mente kann nie ein Rechtsspruch gefällt werden, weıl hier nicht
Thatsachen unter ein Gesetz zu subsumiren sind, sondern freie
Erwägungen entscheiden, welche nach ganz anderen Rücksichten
getroffen werden und bald so, bald anders ausfallen können. In-
sofern ıst der oben (S. 30) erwähnte Satz, dass für den Rechts-
spruch das Gesetz Zweck, für die Verwaltung Schranke sei,
richtig; nur ist damit nichts für die Kompetenzgrenze zwischen
Gerichten und Verwaltungsbehörden gewonnen. Diese richtet sich
nach anderen, zum Theil historisch zufälligen Momenten.
Dieser objektive Unterschied zwischen Rechtsprechen
und Verwalten besteht in jedem Staate, selbst da, wo es
durchaus keine Behördentrennung giebt, wo derselbe Beamte,
welcher den Bau einer Brücke anordnet und Steuern erhebt, auch
einen Erbschaftsprocess zu entscheiden hat. Wenn der so ver-
schiedenen Aufgaben dienende Beamte gewissenhaft und ein-
sichtig ist, vergisst er aber dennoch nie, dass er in dem einen
Augenblick rechtspricht, während er in dem anderen verwaltet,
und sich somit von ganz anderen Prinzipien muss bestimmen lassen.
Hat somit die bisherige Theorie den objektiven Unterschied
zwischen Rechtsprechen und Verwalten richtig aufgefasst, so hat
sie darin fast durchweg fehlgegriffen, dass sie nach diesem objek-
tiven Unterschiede die subjektive Scheidung zwischen Gerichten
und Verwaltungsbehörden feststellen wollte, wenigstens die For-