542 Il. Von den Funktionen des Staatsorganismus,.
Inbegriff der gesammten obrigkeitlichen Gewalt. Jeder Beamte
war ein judex. Obgleich kein Staat, wenn er noch so unentwickelt
ist, sich bloss auf das Rechtsprechen beschränken kann, so über-
wiegt doch, in den Anfängen des Staatslebens, das richterliche
Element dermaassen, dass eine solche Bezeichnung sich sehr wohl
erklären lässt.
Der mittelalterliche Staat beschränkte sich wesentlich auf krie-
gerische Vertheidigung, Rechtspflege und Friedensbewahrung; der
moderne Staat macht es sich zur Aufgabe, nicht bloss Rechtsschutz
zu gewähren, sondern auch die positiven Voraussetzungen und Be-
dingungen für eine allseitige menschenwürdige Entwickelung seiner
Angehörigen zu beschaffen. Sobald die Staatsgewalt sich den An-
forderungen der Kultur dienstbar gemacht hat, beginnt eine reiche,
bis dahin völlig unbekannte Thätigkeit derinneren Verwal-
tung. Zu der mehr negativen Richtung der Sicherheitspolizei
tritt die Pflege der geistigen und materiellen Inter-
essen, die Sorge für Bildung und Wohlstand des Volkes. Dazu
kommt eine rege finanzielle Thätigkeit, welche für alle diese Zweige
die geldlichen Mittel beschaffen muss. Diesen umfassenden Aufgaben
sind die vorherrschend juristischen Behörden, die Obrigkeiten des
Mittelalters, nichtmehrgewachsen. So entwickelt sich seitdem XVII.
und XVII. Jahrhundert ein zweiter weitverzweigter Behördenorga-
nismus für die neugesteckten Aufgaben der innern Verwaltung und
Finanzen. Erst seit dieser Zeit konnte überhaupt von einerScheidung
der Behörden nach dem Gesichtspunkte die Rede sein, dass die einen
vorzugsweise dem Rechtsprechen, die anderen der Verwaltungs-
thätigkeit dienen sollten. Erst jetzt entstanden Konflikte und
Ressortstreitigkeiten, welche dem einfachen Behörden-
systeme des Mittelalters unbekannt geblieben waren. Die Stellung
von Gerichten und Verwaltungsbehörden zu einander, sowie die Ab-
grenzung ihrer Kompetenz, war in den verschiedenen deutschen Staa-
ten sehr verschieden bestimmt. Eine gemeinschaftliche gesetzliche
Regel bestand dafür ebensowenig, wie eine übereinstimmende Auf-
fassung in der Wissenschaft. Nicht bloss in Deutschland, sondern in
allen europäischen Staaten, fehlte es an allgemein durchgreifenden
Grundsätzen in der Begrenzung der Kompetenz zwischen Gerichten
und Verwaltungsbehörden. Zum ersten Male in der Weltgeschichte
wurde eine grundsätzliche Scheidung zwischen Justiz und Verwal-
tung in Frankreich durch das Gesetz vom 24. August 1790 versucht
und eine darauf gegründete Trennung der Behörden bis in die un-