Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

544 II. Von den Funktioneo des Staatsorganismus. 
Privatrechtes entstandenen Streitigkeiten den or- 
dentlichen Gerichten, als das eigentlich specifische 
Feld ihrer Thätigkeit, überwiesen sind. 
2) Schwieriger hat sich die Durchführung dieses Satzes auf 
dem zweiten Gebiete der Justiz, dem des Strafrechtes, vollzogen, 
welches dem Öffentlichen Recht im weiteren Sinne angehört. Lange 
zögerte der landesherrliche Absolutismus, wie er seit dem XVIL. 
und XVII. Jahrhundert ın Deutschland emporgewachsen war, 
den Fällen des Strafrechtes jene unabhängige, völlig isolirte Be- 
handlungsweise zu Theil werden zu lassen, wie er sie früher schon 
den Privatrechtsstreitigkeiten zugestanden hatte. Bis in dieses 
Jahrhundert herein dauerte das persönliche Eingreifen des Re- 
genten in die Strafrechtspflege fort, welches man aus einem höch- 
sten Strafrichteramte des Landesherrn zu rechtfertigen suchte. 
Aber zu gewichtige Gründe sprachen dafür, dass auch hier das 
Staatsoberhaupt und die von ihm abhängigen Regierungsbehörden 
ihr persönliches Ermessen bei Entscheidung des einzelnen Falles 
aufgeben und jene objektive Behandlung eintreten lassen, wie sie 
sich im gerichtlichen Urtheile über Privatrechtsstreitigkeiten dar- 
stellt. Das Strafrecht soll eine objektive Ordnung bilden, dazu be- 
rufen, unabhängig von allen übrigen wechselnden Interessen, im 
Staate bestimmten widerrechtlichen Handlungen durch die Andro- 
hung und Vollziehung von Strafen wirksam entgegenzutreten. Der 
Staat und die Persönlichkeit des angeblichen Rechtsverletzers 
stehen sich mit ihren Rechten gegenüber. Ja, es handelt sich für 
den Einzelnen um wichtigere Güter, um Leben, Ehre, Freiheit, als 
auf dem Gebiete des Privatrechtes mit seinen ersetzlichen Vermö- 
gensrechten. Nicht, weil es sich um »privatrechtsähnliche Verhält- 
nisse« handelt, sondern einfach um der Gerechtigkeitwillen, 
um der persönlichen Freiheit seiner Bürger die möglichste Garantie 
zu geben, verzichtet der civilisirte Staat auf jedes willkürliche, 
d. h. nach anderen Rücksichten, als den Vorschriften des Gesetzes 
zu bemessende Strafrecht, und erkennt den Grundsatz an, dass 
eine peinliche Strafe, nur nach vorausgegangenem 
Processe, auf Grundlage eines bestimmten Gesetzes, 
in Folge rechtskräftigen Erkenntnisses eines unab- 
hängigen Gerichtshofes, verhängt werden kann, 
Wir können cs heutzutage als emen im allen Ländern euro- 
päischer Gesittung anerkannten Satz betrachten, welcher auch in 
allen deutschen Staaten seine positiv-rechtliche Sanktion gefunden
	        
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