Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

562 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus. 
richte andere Gerichte oder ausserordentliche Kommissionen gesetzt 
werden. Dies bezieht sich nicht nur auf die Entscheidung, sondern 
auch auf die Untersuchung von Rechtsfällen. Eine Ausnahme, 
welche auch in den Verfassungsurkunden der Einzelstaaten anerkannt 
war, macht auch das Reichsgesetz: »Die gesetzlichen Be- 
stimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte 
werdennichthiervon berührt.« Nicht als Ausnahmegerichte 
sind die reichsgesetzlich bestellten oder zugelassenen besonderen 
Gerichte, wie z. B. Gemeindegerichte, Gewerbegerichte, anzu- 
sehen, wenn sie auch den ordentlichen Gerichten gegenübergestellt 
werden; doch sind die Einzelstaaten nicht befugt, besondere Ge- 
richte irgend welcher Art zu bestellen oder zuzulassen, welche das 
Reichsrecht nicht anerkennt. Die einzigen, welche das Reichsrecht 
zulässt, sind die ın $ 14 des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes auf- 
gezählten (W. Endemann,a.a.0.S.6S). 
$ 200. 
3; Richterliches Prüfungsrecht von Gesetzen und 
Verordnungen!. 
Aus dem allgemein anerkannten Grundsatze, dass die Gerichte 
im Rechtsprechen unabhängig und lediglich der Autorität des Ge- 
setzes unterworfen sind, folgt mit logischer Nothwendigkeit, dass 
sie auch selbständig zu prüfen haben, ob eine vom Monarchen oder 
seinem Ministerium ausgegangene allgemeine Anordnung ver- 
fassungs- und gesetzmässig ist. 
1 Aus der fast unübersehbaren Literatur über das Prüfungsrecht des Richters 
heben wir folgende Schriften hervor, welche sich für dasselbe aussprechen: 
K.S. Zachariä, im Archiv für civilistische Praxis (1833) B. XVI. 8. 145 ff. 
v. Wächter, Archiv für civil. Praxis (1841) B. XXIV. S. 235. Nr. 28 und im 
württemb. Privatrecht B. II (1842) S. 26. v. Vangerow, Pandekten, 7. Aufl. 
(1863) B. 1.$ 12. Anm. 1. G. F. Puchta, Vorlesungen über das heutige röm. 
Recht B. 1.S. 33 ff. v. Mohl, Staatsrecht, Verfassungsrecht und Politik B. I. 
1860) 8. sı fl. B. W. Pfeiffer, die Selbständigkeit des Richteramts. Göt- 
tingen 1851. Fr. Förster, Theorie und Praxis B. I. S. 34. Gutachten des 
Prof. Dr. R.Gneist, über die Frage, soll ein Richter auch darüber zu befinden 
haben, ob ein Gesetz verfassungsmässig zu Stande gekommen ist. Desgleichen 
Gutachten des Dr. Jacques aus Wien über dieselbe Frage. Inden Verhand- 
lungen des IV deutschen Juristentages B. I. S. 212—257 (1863). G. Planck, 
})ie verbindliche Kraft der auf nicht verfassungsmässigem Wege entstandenen 
Gesetze und Verordnungen, Jahrb. für die Dogmatik des heutigen römischen 
und deutschen Privatrechts. B. IX. 8. 25S ff. Gegen dieses Prüfungsrecht 
sprechen sich aus: H. Zöpfl, B.II. $451. 8. 576 ff. v. Linde, Archiv für eivil.
	        
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