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hörig erfolgt sei. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig. Die
Verfassungsurkunden bestimmen vielmehr durchweg, dass jede
Kammer über ihre Konstituirung, die Legitimation ihrer Mit-
glieder, ihre Geschäftsordnung endgültig zu entscheiden hat.
Das Zustandekommen ihrer Beschlüsse ist em Internum ihrer
Kollegialverfassung, in welches sich kein Gericht einzu-
mischen hat. In diesem Sinne haben, wie Gneist gründlich
ausgeführt hat, auch in England die Gerichte stets solche Formen
als innere Angelegenheit der Häuser angesehen und sich
damit begnügt, dass der zustimmende Beschluss der beiden Häuser
und die Sanktıon der Krone feststand.
Wenn die hier entwickelten Grundsätze auf der juristischen
Natur der Sache, wie auf der deutschen Gerichtsverfassung beruhen
und somit gemeinen Rechtes sind, so ist doch die Anwendung der-
selben durch die positiv-rechtlichen Bestimmungen einzelner \er-
fassungen ausgeschlossen. So bestimmt namentlich die preussische
Verfassungsurkunde Art. 106, welcher das Oldenburgische Staats-
grundgesetz Art. 141, das Schwarzburg-Rudolstädtische Grund-
gesetz $ 26, das Schwarzburg-Sondershausensche Landesgrund-
gesetz $ 41 u. s. w. gefolgt sind, »dass Gesetze und Verord-
nungen verbindlich sein sollen, wenn sieinder vom
Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht
sind, und dass die Prüfung der Rechtsgültigkeit ge-
hörig verkündigter königlicher Verordnungen nicht
den Behörden, sondern nur den Kammern zusteht!.
Danach beschränkt sich hier das Prüfungsrecht aller Behörden,
auch der Gerichte, lediglich auf die Frage, ob die formellen Er-
fordernisse der Publikation in der Gesetzsammlung und der Kontra-
signatur eines verantwortlichen Ministers vorliegen!.
Die deutsche Reichsverfassung hat über das Prüfungsrecht des
Richters hinsichtlich der Reichsgesetze und Reichsverordnungen
nicht ausdrücklich gesprochen. Es bleibt daher bei den oben ent-
I Fr. Förster a. a. O. S. 33 sagt: »Der preussische Richter muss jede
königliche Verordnung befolgen, wenn sie nur gehörig bekannt gemacht worden
ist. Die gehörige Bekanntmachung hat er unbedingt zu prüfen. Sein juristisches
Dasein enthält hiernach das Gesetz durch die königliche Verordnung, welcher
die Gegenzeichnung eines Ministers hinzutreten muss, zweitens durch die Ver-
öffentlichung.« Das Nähere über die Geschichte des Art. 106 in meinem preussi-
schen Staatsr. $175. S. 245 ff. Merkwürdig ist, dass die sonst vorbildliche
belgische Verfassung Art. 107 die entgegengesetzte Vorschrift enthält: »Les
cours et tribunaux n’appliqueront les arr&t&s et reglements generaux, provinciaux
et locaux, qu’autant, qu’ils seront conformes aux lois«,
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