Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Von der Justiz. 571 
durch die Reichsstrafprocessordnung $ 485 reichsgesetzlich auf- 
gehoben. 
Dem überall anerkannten Begnadigungsrechte sind aber durch 
die neueren Verfassungen gewisse Schranken gezogen. Ueberall ist 
dasselbe bei Verurtheilungen von Ministern wegen Amtshandlungen 
entweder ganz ausgeschlossen oder die Ausübung nur auf Antrag 
der anklagenden Kammer zulässig. (Preuss. Verfassungsurkunde 
Art. 49. Bayerisches Gesetz, betreffend die Verantwortlichkeit der 
Minister, vom 4. Juni 1848, Art.12. Sächsische Verfassungsurkunde 
6150. Württembergische Verfassung $ 265. Sachsen-\Weimarisches 
Staatsgrundgesetz $59. Sachsen-Meiningen $ 106. Sachsen-Coburg- 
Gotha $ 176. Oldenburg Art. 10.) Das Recht der Niederschlagung 
haben einige Verfassungen völlig aufgehoben (Bayerische Verfassung 
VIII, $ 4), andere wenigstens bei gewissen Arten von Verbrechen 
ausgeschlossen. (Hessische Verfassung Art. 50. Braunschweigische 
Neue Landesordnung $ 208.) Wo es noch beibehalten worden ist, 
wird die Ausübung desselben an das Gutachten des obersten Ge- 
richtshofes (Braunschweigische Neue Landesordnung $ 208) oder an 
die Zustimmung der Kammern geknüpft. (Preussische Verfassungs- 
urkunde Art. 49: »Der König kann bereits eingeleitete Unter- 
suchungen nur auf Grund eines besonderen Gesetzes nieder- 
schlagen.«) 
Nirgends ist die Gewährung der Gnade von einem Gesuche 
des Verurtheilten abhängig, sie kann vielmehr als ein wesentlich im 
öffentlichen Interesse vorzunehmender Akt auch aus der eigenen 
Initiative der Krone, selbst gegen den Willen des rechtskräftig 
Verurtheilten erfolgen. Selbstverständlich ist es, dass der Straf- 
erlass Privatrechte Dritter nicht beeinträchtigen darf, dass nament- 
lich Ansprüche eines durch die strafbare Handlung Verletzten auf 
Schadenersatz durch einen Begnadigungsakt in keiner Weise be- 
seitigt werden können. 
Das von den früheren römischen Kaisern aufdie deutschen Kaiser 
und Landesherren übertragene Recht der Ertheilung von 
Moratorien, d.h. die Befugniss, einem Schuldner eine Frist zur 
Bezahlung einer fälligen Schuld zu gewähren, war bereits durch 
viele Verfassungen und Gesetze der Einzelstaaten aufgehoben, ist 
aber gemeinrechtlich für ganz Deutschland durch die Reichsjustiz- 
gesetzgebung beseitigt. (Einführungsgesetz zur Reichscivilprocess- 
ordnung $ 14.)
	        
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