Die Verwaltung. 585
manent sind, während ebensowenig die Ausgaben, welche dem
Betrage nach gesetzlich feststehen, einer budgetmässigen Bewil-
ligung bedürfen, erfand man, im revolutionären Frankreich, den
unerhörten Satz, dass die Volksvertretung von Jahr zu Jahr alle
Einnahmen und Ausgaben des Staates nach freiem Ermessen
bewilligen oder versagen könne. Bei folgerichtiger Durchführung
dieses Gedankens würde jede Rechtskontinuität im Staate auf-
hören. Da die Durchführung fast aller Gesetze mit Ausgaben ver-
bunden ist, so hätten dieselben nach dieser Theorie nur vorläufige
Gültigkeit auf ein Jahr. Da alle dafür nöthigen Gelder von der
Kammer nach Belieben gestrichen werden könnten, so hingen
selbst die Rechte der Staatsgläubiger auf jährliche Zinszahlung von
dem Belieben der Volksvertretung bei der Feststellung des Budgets
ab; das ganze Staatswesen wäre auf ein »kündbares Jahresabonne-
ment« gestellt. Neben einem so aufgefassten Budgetrecht des
Volkshauses wäre die staatsrechtliche Bedeutung der Krone und
des Oberhauses vernichtet, da jeder noch so weit gehende Beschluss
des Volkshauses einfach durch Verweigerung des Budgets durch-
gesetzt werden könnte. Dennoch ging diese Auffassung in die
französische Charte vom 4. Juni 1814, $ 9, über und fand ihren
typischen Ausdruck in der belgischen Verfassung Titre IV. $ 110:
»Les impöts au profit de l’etat sont votes annuellement. Les lois,
qui les etablissent, n’ont de force que pour un an, si elles ne sont
renouvelees. Art. 115: Chaque annee les chambres arretent la
loı de comptes et votent le budget. Toutes les recettes et depenses
de l’etat doivent &tre portees au budget et dans les comptes«.
Obgleich diese belgisch-französische Theorie in der Schule der
konstitutionellen Doktrinärs auch in Deutschland lebhaften An-
klang und zahlreiche Vertheidiger fand, so knüpften doch die
älteren konstitutionellen Verfassungen derjenigen Länder, in wel-
chen die Ueberlieferungen der altständischen Verfassungen noch
mächtig waren, an das Steuerbewilligungsrecht der alten Land-
stände an und legten dieses Recht auch der neugeschaffenen Volks-
vertretung bei. Aber der für Staatszwecke erforderliche Steuer-
betrag konnte nur durch eine eingehende Kenntnissnahme aller
übrigen Staatseinnahmen ..und der Staatsausgaben festgestellt wer-
den. So wuchs aus dem Steuerbewilligungsrechte der
Landtage nothwendig ein allgemeines Budgetrecht
hervor. Dies zeigt sich besonders charakteristisch in der württem-
bergischen Verfassung von 1819, welche das moderne Staatsrecht