Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

46 1. Grundbegriffe des allgemeinen Staatsrechtes. 
und des Gehorsams zur Gesammtstaatsgewalt setzt. Gerade darin 
zeigt sich am deutlichsten der Gegensatz zwischen dem mittelalte- 
rigen Staatenstaat des ältern deutschen Reiches und dem bundes- 
staatlich geordneten neuen deutschen Reiche. Die Reichsmittel- 
barkeit deutscher Unterthanen, welche lediglich durch das Mediun: 
ihrer Obrigkeit mit dem Reiche in Verbindung stehen, gehört der 
überlebten mittelalterigen Gestalt des Staatenstaates an, währen 
das moderne bundesstaatliche Reichsstaatsrecht alle seine Unter- 
thanen zu Reichsunmittelbaren erhoben hat. Die einzelnen 
deutschen Staaten sind dem Reiche untergeordnet, die einzelnen 
deutschen Bürger ihm unterthan. 
3) Da der Bundesstaat alle Volksgenossen umfasst, so muss er, 
bei der konstitutionellen Entwickelung der Gegenwart, ihrer Ge- 
sammtheit auch eine aktive Betheiligung am Staatsleben einräumen. 
Eine Nationalvertretung, welche die Gesammtheit aller Bürger 
des Bundesstaates als eine Einheit darstellt, ıst nicht blos eine 
zufällige Zuthat, sondern ein im Wesen des Bundesstaates begrün- 
detes nothwendiges Organ. Kurz, der Bundesstaat ist die 
moderne volksthümliche Form des Staatenstaates im 
Gegensatze zum mittelalterig-feudalen Staatenstaate, welcher es un- 
mittelbar nur mit untergeordneten Obrigkeiten, nicht mit einzelnen 
Bürgern zu thun hatte. 
Der Bundesstaat ist der neue Staatsgedanke, welcher zuerst 
durch die nordamerikanische Verfassung von 1789 in die Welt ge- 
treten ist. Derselbe liegt der schweizerischen Bundesverfassung von 
1848, dem Entwurf der deutschen Reichsverfassung vom 29. März 
1849 und der gegenwärtigen deutschen Reichsverfassung zu Grunde. 
In jedem Bundesstaate sınd die ım Einheitsstaate der einheitlichen 
Staatsgewalt zukommenden allseitigen Aufgaben und Verrichtungen 
so vertheilt, dass ein Theil derselben durch die Centralgewalt, ein 
andrer Theil durch die Staatsgewalt der Einzelstaaten besorgt wird. 
Die verfassungsmässige Vertheilung der sonst ein- 
heitlich zusammengefassten Staatskompetenz ist ein 
wesentliches Merkmal des Bundesstaates. Der Begriff 
der einheitlichen Staatsgewalt wird aber dadurch gerettet, dass die 
Centralgewalt und die Gewalten- der Einzelstaaten nicht als fremd- 
artige Gewalten von einander geschieden werden dürfen, sondern 
als Glieder einer und derselben Organisation aufgefasst werden 
müssen, welche eben im Bundesstaate ihre höhere Einheit finden. 
Damit der immerhin denkbare Antagonismus zwischen der Central-
	        
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