Die Verwaltung. 609
welche der Thätigkeit der Staatsgewalt einen immer umfassenderen
Umfang, einen immer reicheren Inhalt gewähren. Zu dem noth-
wendigen Postulate des Rechtsstaates treten. in immer wach-
senden Dimensionen, dıe Ziele des Kulturstaates. Diese stets
sich vermehrenden Ansprüche an die Thätigkeit des Staates ent-
springen aus einer tieferen Erkenntniss des menschlichen Wesens
überhaupt, sowie der staatlichen Gemeinschaft insbesondere. Dem
denkenden Menschen erscheint »die Vollendung des Men-
schen in sich selbste«als vernunftgemässes Ziel aller mensch-
lichen Bestrebungen. Bei der schwachen, hülfsbedürftigen Natur des
Menschen ist aber die Vollendung des Einzelnen in der Vereinzelung
unmöglich. Der Mensch findet seine Ergänzung nur iin
der Gemeinschaft mit seines Gleichen. Da aber keine
Gemeinschaft auf Erden mächtiger ist, als der Staat, so ist es klar.
dass auch keine mehr für die Entwickelung der Menschheit thun
kann, als dieser.
Da der Staat in der Gesammtheit aller seiner Angehörigen be-
steht, so arbeitet er, indem er für die Einzelnen sorgt, zugleich für
sich selbst. Das indıviduelle Wohl wırd von selbst zum
Gesammtwohle. Jeder Einzelne, welcher mit Erfolg für seine
eigene Vollendung arbeitet, arbeitet zugleich für den Fortschritt
aller anderen. Auf diesem Gebiete der Kulturarbeit findet ein fort-
währender Austausch zwischen den Leistungen der Individuen
und der Gesammtheit, ein gegenseitiges Geben und Nehmen statt.
welches zu immer höheren Leistungen befähigt und anspornt.
Aber auch in der staatlichen Gemeinschaft bleibt der Mensch
eine selbständige und selbstthätige Persönlichkeit. Wah-
ren Werth für ıhn hat nur das, was er sich selbst er-
arbeitet. Damit ist auch die Aufgabe der Staatsthätigkeit auf
3. Aufl. 1866. Den Wendepunkt der Literatur von der alten Polizeiwissen-
schaft zu der modernen Verwaltungslehre bezeichnet das bahnbrechende Werk
L. v. Stein’s, Die Verwaltungslehre Th. I-VII. Stuttgart 1865—689. Der-
selbe, Handbuch der Verwaltungslehre. Stuttgart 1870. 2. Aufl. 1876. Nach
des Verfassers eigenem Ausdruck »ein Lehrbuch der Institutionen des Verwal-
tungsrechtes.« F. F. Mayer, Grundsätze des Verwaltungsrechtes mit be-
sonderer Rücksicht auf gemeinsames deutsches Recht, sowie auf neucre Gesetz-
gebung und bemerkenswerthe Entscheidungen der obersten Behörden, zunächst
der Königreiche Preussen, Bayern und Württemberg. Tübingen 1862. v. Inama-
Sternegg, Verwaltungslehre in Umrissen. 1870. G. Rössler, Lehrbuch des
deutschen Verwaltungsrechtes, I. Bd. das sociale Verwaltungsrecht. Abth. 1u.2.
Erlangen 1572 und 1873. Eine werthvolle Skizze des Verwaltungsrechtes giebt
Prof. Dr. Ernst Meier in Holtzendorff’s Encyklopädie.