Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

610 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus. 
diesem Gebiete bestimmt und begrenzt. Der Staat würde eine 
ebenso unmögliche, als gefährliche Aufgabe übernehmen, wenn er 
die individuelle Thätigkeit durch seine eigene Thätigkeit ersetzen, 
wenn er den Einzelnen wohlhabend, gebildet, sittlich machen 
wollte. Der Staat hat vielmehr nur die Bedingungen herzu- 
stellen, welche es dem Einzelnen ermöglichen, für seine äussere 
Wohlfahrt und innere Bildung mit Erfolg zu sorgen. 
Der Staat hat bald negative Hindernisse zu beseitigen, bald 
positive Anstalten ins Leben zu rufen, welche der Förderung des 
individuellen Lebens dienen, aber auch nur so weit und nur dann, 
wenn die individuellen Kräfte nicht ausreichen oder wenigstens 
von Seiten der Einzelnen ganz ungewöhnliche Opfer gebracht wer- 
den müssten. Auch hier fordert das Gesetz der Selbstthätigkeit, 
dass der Staat stets nur subsıdıär eintrete, wo weder das Indivi- 
duum, noch das freiwillige Vereinswesen, noch die kleineren Körper 
der Selbstverwaltung das Nöthige beschaffen können. In der Be- 
stimmung des richtigen Maasses der zu leistenden staatlichen Hülfe 
beruht die schwierigste Aufgabe der Verwaltungspolitik. 
Immer neue Ziele, immer höhere Aufgaben werden der inneren 
Verwaltung gestellt, welche als das umfassendste Gebiet der 
modernen Staatsthätigkeit betrachtet werden muss; darum liegt 
auch in der Geschichte der inneren Verwaltung die Kulturgeschichte 
der Staaten und Völker wesentlich beschlossen. 
I. Geschichtliche Entwickelung der inneren Verwaltung. 
$ 218. 
1) Der Staat des Mittelalters. 
’ 
Der Staat des Mittelalters galt lediglich als eine Friedens- 
genossenschaft. Erhaltung des Friedens nach aussen durch 
das.Heer, Erhaltung des Friedens nach innen durch die Gerichte 
war der einzige Staatszweck (Heerbann und Gerichtsbann). Mit 
der Justiz war nothwendig eine Art von Sicherheitspolizei 
gegen die gröbsten Ausbrüche sinnlicher Rohheit verbunden bcon- 
servatio pacis«). 
Die Sorge für das geistige und leibliche Wohl seinerAngehörigen 
durch Errichtung positiver Anstalten war dem >taate des Mittel- 
alters fremd. Diese Seite des menschlichen Daseins blieb entweder 
ganz unversorgt oder wurde anderen Verbänden überlassen. Vor 
allem nahm die Kirche die ganze ideale Seite des menschlichen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.