Die Verwaltung. 615
und mit einiger Inkonsequenz nımmt er einige polizeiliche Funk-
tionen, als eine indirekte Pflicht der Staatsgewalt, in seinen Staats-
begriffauf. In ähnlicher Weise, wie Kant, wirkte auf wirthschaft-
lichem Gebiete Adam Smith ein, indem er gegen das Bevor-
mundungs- und Sperrsystem des Merkantilismus für unbevormundete
Gewerbsthätigkeit und volle Verkehrsfreiheit eintrat, und also
auch hier das Eingreifen des Staates in möglichst enge Schranken
verwies.
Gewiss war die Reaktion der Kant’schen Theorie gegen die
Allmacht des eudämonistischen Polizeistaates eine wohlberechtigte
und von nicht zu unterschätzendem Verdienste, doch ging der
Grundsatz vom ausschliesslichen Rechtszwecke des Staates zu weit
und konnte in der Praxis nicht zur vollen Geltung kommen. Es
war nun einmal eine eben so werthvolle, als unverlierbare Errungen-
schaft des XVII. Jahrhunderts, dass der Staat, als die mächtigste
und umfassendste Gemeinschaft auf Erden, allen Kulturinteressen
der Menschheit dienstbar gemacht werden muss. Eine folgerichtige
Durchführung der Kant’schen Lehre wäre eine Zurückschrau-
bung unserer Entwickelung in den Staat des Mittelalters gewesen.
Die Bedeutung des modernen Staates, als eines Kulturstaates, muss
vollständig gewahrt, zugleich aber mit den Forderungen des Rechts-
staates in Einklang gebracht werden. Die Versöhnung der beiden
Staatsprinzipien erfolgte durch die Gründung des konstitutio-
nellen Verfassungsstaates, welcher in noch höherem Maasse,
als der absolute Staat des vorigen Jahrhunderts, den Kulturauf-
gaben der Staatsangehörigen dienstbar wird, dadurch aber zu-
gleich seine Stellung als Rechtsstaat wahrt, dass er auf dem
Gebiete der inneren Verwaltung bestimmte Grenzen der individuellen
Freiheit anerkennt, die er nicht überschreiten darf, ohne dass sıch
seine Organe persönlich verantwortlich machen, dass es keine
Funktion, keine Behörde im Staate giebt, welche nicht dem Gesetze
und dem Rechtsspruche unterworfen wäre (Kap. III. Absch. III). In.
der gesetzlichen Verwaltung des konstitutionellen Staates löst
sich jeder Widerspruch zwischen den umfassenden Aufgaben des
Kulturstaates und den Anforderungen des Rechtsstaates,
indem folgende staatsrechtliche Grundsätze zur Geltung kommen:
1) \Vährend im absoluten Staate des vorigen Jahrhunderts das
subjektive Ermessen des Monarchen allein darüber entschied, was
als »Gemeinwohle« gelten sollte, hat jetzt auch die Volksver-
tretung mit zu bestimmen, welche Aufgaben und Ziele, welche