Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

624 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus. 
auf anderen Gebieten eine Veränderlichkeit, ein fortwährender 
Wechsel zu erkennen. Ausserdem sind gerade auf dem polizei- 
lichen Gebiete die örtlichen Verschiedenheiten unendlich gross. 
Zu der Polizeigesetzgebung, welche dauernde Normen für 
den ganzen Umfang des Staates oder wenigstens für grössere Landes- 
theile aufstellt, muss daher notwendig ein bewegliches und 
lokales Element der Anordnung treten. Auch im Verfassungs- 
staate tritt zu dem Gesetze die landesherrliche Verordnung und 
die Verfügung der höheren und niederen Polizeistellen für den Kreis 
ihrer Kompetenz. Aber dieses Verordnungs- und Verfügungsrecht 
hat seine eng gezogenen, verfassungsmässigen Schranken. Keine 
Verordnung darf mit dem Gesetze, keine polizeiliche Vorschrift mit 
einer Verordnung oder mit der Vorschrift einer höheren Stelle ın 
Widerspruch treten. Die Zuständigkeit zum Erlasse von Polizei- 
verfügungen ist durch das Gesetz genau festzustellen; jede Behörde 
muss das Recht haben, für die Sicherheit ihrer speziellen Aufgaben 
die Thätigkeit der Einzelnen durch Verbote oder Gebote zu be- 
schränken. Wo rein staatliche Organe ein solches polizeiliches 
Verfügungsrecht haben, ist ım konstitutionellen Staate zu verlangen. 
dass Elemente der Volksvertretung ein Recht der Mitwirkung 
haben, damit solche Verfügungen ım volksthümlichen Sinne, nicht 
in dem bureaukratischer Willkür, gefasst werden. 
Damit aber durch die Verschiedenartigkeit der örtlichen Polizei- 
verfügungen die nothwendige Einheit der Verwaltung ım Staate 
nicht gestört wird, muss den Oberbehörden ein Aufsichtsrecht über 
die Erlasse der niederen Behörden und der Gemeinden zustehen, 
womit das Recht verbunden ist, deren Verfügungen wegen Mangels 
der gesetzlichen Bedingungen ihrer Erlassung oder wegen Nach- 
theils für das öffentliche Wohl oder wegen Verletzung der Rechte 
Dritter, ausser Kraft zu setzen. Zu diesem Zwecke müssen 
alle Verfügungen der untergeordneten Stellen an die Oberbehörde 
zur Kenntnissnahme eingereicht werden. Den einzelnen Bürgern, 
wie ganzen Körperschaften, muss gegen ungesetzliche Eingriffe in 
ihre öffentlichen oder privatrechtlichen Befugnisse, wie sie in Polizei- 
verfügungen vorkommen können, ein unbeschränktes Beschwerde- 
recht zustehen, welches bei weiterer Ausbildung der Gerichtsbar- 
keit des öffentlichen Rechtes, sich ımmer mehr in ein wahres 
Klagerecht verwandelt. 
Diesen Anforderungen hat die Gesetzgebung der deutschen 
Staaten mehr oder weniger entsprochen. Ueberall ist den Ver-
	        
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