Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Die Verwaltung. 659 
während ein stossweises vereinzeltes Hereingreifen der Civilgerichte 
den Gang der Verwaltungsbehörden leicht lähmen könnte. Gewiss 
würde keine einzige deutsche Regierung darauf eingegangen seın, 
eine so weitgehende Ausdehnung der Rechtsprechung auf das Gre- 
biet des öffentlichen Rechtes zu genehmigen, wenn das Postulat 
darauf gerichtet gewesen wäre, die gesammte Verwaltung in ihren 
Rechtsfragen der Judikatur der Civilgerichte zu unterstellen. Auf 
lange hin wird die Rechtsprechung des öffentlichen Rechtes durch 
besondere Gerichtshöfe (fora specialia) ein unentbehrliches 
Institut bleiben, und statt an diesem Fundament zu rütteln, gilt es, 
auf demselben rüstig weiter zu bauen. Für die Weiterentwickelung 
der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland sind zwei Forde- 
rungen zu stellen: 
1) Möglichste Erweiterung der Zuständigkeit der Verwaltungs- 
gerichte auf alle Verwaltungsrechtssachen, welche überhaupt 
zu einer juristischen Beurtheilung und somit zur Rechtsprechung 
geeignet sind. Bei der geringen Erfahrung auf diesem Gebiete 
mag es vorsichtiger gewesen sein, dass die Gesetzgebung der soge- 
nannten Dinumerationsmethode gefolgt ıst. Bei weiterer Ent- 
wickelung von Theorie und Praxis wird man schliesslich doch dahin 
kommen, eine allgemeine Norm aufzustellen, welche die Zuständig- 
keit der Verwaltungsgerichte durch ein grosses Princip von der 
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsbe- 
hörden scheidet und es der Rechtswissenschaft überlässt, im 
einzelnen Falle die Abgrenzung richtig zu bestimmen. Vorläufig 
werden wir damit fürlieb nehmen müssen, die Zuständigkeit der 
Verwaltungsgerichte durch Aufnahme geeigneter Gegenstände zu 
erweitern. 
2) Die Wohlthat der Verwaltungsrechtspflege muss ganz 
Deutschland zu Theil werden. Die Ausdehnung derselben auf alle 
Provinzen des preussischen Staates ist angebahnt. Bayern, Würt- 
temberg, Baden und Hessen-Darmstadt erfreuen sich derselben. 
Die kleineren Staaten sind zurückgeblieben. Da die Errichtung 
eines Oberverwaltungsgerichts die Kräfte jedes einzelnen Staates 
übersteigen möchte, so ist auch hier nur durch Verbindung mehrerer 
Staaten Rath zu schaffen. Staaten, die sich in ihrer Itechtsent- 
wickelung, in ihren wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Ver- 
hältnissen näher stehen, müssten gruppenweise zur Errichtung eines 
Oberverwaltungsgerichtes zusammentreten, z. B. die thüringischen 
Staaten, die freien Städte u. s. w. 
H. Schulze, Deutsches Staatsrecht. 43
	        
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