666 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
lichen in weltlichen Sachen der weltlichen Gerichtsbarkeit unter-
woıfen wurden. Aber auch ein positives Eingreifen der Fürsten
in die Sphäre der Kirche nimmt in dieser Zeit immer mehr überhand,
indem sie einen immer weiter gehenden Einfluss auf die Besetzung
der geistlichen Stellen in Anspruch nahmen und bereits die Gültig-
keit päpstlicher Bullen an ihre Bestätigung banden. (»Dux Cliviae
est papa in suis terris.« v. Mühler, Geschichte der Kirchenver-
fassung von Brandenburg 1846, S. 17.) Wie weit die Fürsten damals
bereits auf kirchlichem Grebiete sich zu einem maassgebenden Ein-
flusse für berechtigt hielten, zeigt sich in den hundert Beschwerden
deutscher Nation, welche die weltlichen Reichsstände 1522—1523
dem Papste überreichten und ihre eigenmächtige Abhülfe in Aus-
sicht stellten, wenn das Kirchenoberhaupt zögern würde, ihnen
Rechnung zu tragen!. Diese Erklärung der deutschen Fürsten be-
zeichnet den Schluss der mittelalterigen Entwickelung und den
Anfang einer neuen Zeit, in welcher auch in Deutschland der
Staat sich seiner Rechte bewusst wurde. Eine ganz veränderte
Auffassung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche trıtt mit
der Reformation ins Leben.
Durch die Reformation wurde, wie Luther selbst sagt, der
Staatsbegriff aus seiner Erniedrigung erhoben. Nach evangelischer
Auffassung ist die weltliche Obrigkeit unmittelbar von Gott, un-
abhängig von einer kirchlichen Gewalt. Allerdings empfängt der
Staat seine Vertiefung nach der sittlichen Seite hin erst durch Auf-
nahme des christlichen Elementes, indem er selbst ein christ-
licher wird; aber der höhere Charakter des Staates ıst dadurch
keineswegs an sich bedingt; selbst der heidnische Staat erscheint
als eine »ordinatio divina«. Grundsätzlich scheiden die Reforma-
toren Staats- und Kirchenregiment von einander. (Conf.
Aug. II. 7.4: »Nostri coacti sunt ostendere discrimen ececlesiasticae
potestatis et potestatis gladii et docuerunt, utramque propter man-
datum Deireligiose venerandam et honore afficiendam esse, tamquam
summa Dei beneficia in terris.«) Aber praktisch kam das Verhältniss
zwischen Staat und Kirche nicht zu Stande nach den theoretischen
Forderungen der Reformatoren, sondern unter der Macht zwingender
Thatsachen. Auch Luther wollte die Kirche grundsätzlich auf
! Gaertner, corp. jur. ecel. cath. novi T. II. p. 156—219: »Sacri Romani
imperii prineipum ac procerum gravamina centum, quae adversus sedem apostoli-
cam Romanam ac totum ecelesiasticum ordinem oratori pontificiae sanctitatis in
comitiis Germanorum prineipum Norenbergae 1522/23 proposuerunt.«