Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Das Rechtsverhältniss des Staates zur Kirche. 681 
unter einer strengen Staatsaufsicht, besonders auch ın Preussen. 
Der Wendepunkt trat im Jahre 1840 mit der I'hronbesteigung König 
Friedrich Wilhelm’s IV. ein. Durch verschiedene königliche 
Edikte wurde der katholischen Kirche bereits vor dem Jahre 1848 
eine freiere Bewegung eingeräumt. Einen weiteren Schritt that das 
Jahr 1848, welches in den Grundrechten die Unabhängigkeit der 
Kirche aussprach. Dieser Satz ging fast wörtlich in die preussische 
Verfassung über. Es war aber weniger der allgemeine Satz: »Jede 
Religionsgesellschaft ordnet und verwaltetihreAn- 
gelegenheitenselbständig«, als die Auslegung, welche man 
ihm'gab, was den preussischen Staat den Ansprüchen der katholischen 
Hierarchie gegenüber wehrlos machte. Eine schwächliche Ver- 
waltungspraxis der Staatsbehörden fügte sich allen Anmassungen der 
Hierarchie! und trat der Auffassung derselben bei: »dass durch den 
erwähnten Satz der Verfassungsurkunde alle bisherigen Beschrän- 
kungen der Kirche sofort aufgehoben seien und die letztere sich 
bereits im Vollbesitze ihrer Selbständigkeit befinde.« So gingen in 
Preussen dem Staate fast alle Befugnisse der Kirchenhoheit über 
die katholische Kirche verloren. Durch solche Erfolge ermuthigt, 
ging die Hierarchie auch in anderen Staaten vor. In Oesterreich, 
wo die katholische Kirche, trotz einer äusserlich glänzenden Stellung, 
noch wesentlich in den Banden der josephinischen Gesetzgebung 
gelegen hatte, errang sie sich durch das Konkordat vom 18. August 
1855 eine völlig unabhängige und hochprivilegirte Stellung. Unter 
dem Schutze einer politischen Reaktion, welche in der katholischen 
Hierarchie »die Stütze der T'hrone« zu finden meinte, suchte man 
ähnliche Zustände auch in den süddeutschen Staaten herbeizuführen, 
welche bis dahin ihre Kirchenhoheit, auch der Bewegung des Jahres 
1848 gegenüber, aufrecht zu erhalten verstanden hatten. Die katho- 
lische Kirche betrat zu diesem Zwecke den Weg der Vereinbarung. 
Schon am 23. Aprıl 1853 hatte der Bischof von Mainz eine Ueber- 
Kirche Preussens II. Th. Halle a. 8. 1840. L. A. Warnkönig, Die staats- 
rechtliche Stellung der katholischen Kirche in den katholischen Ländern des 
deutschen Reiches im XVIII. Jahrhundert. Erlangen 1555. C. Fr. Rosshirt, 
Das staatsrechtliche Verhältniss der katholischen Kirche in Deutschland seit 
dem westfälischen Frieden. Schaffhausen 1859. O. Mejer, Zur Geschichte der 
römisch-deutschen Frage. (Rostock 1871—1874.) Bis jetzt erschien B. I. II. 
1.2. IUI.1. 
ı Als Beleg hierfür vergl. besonders den auf der Zustimmung des Ministers 
der geistlichen Angelegenheiten beruhenden Erlass des Oberpräsidenten von 
Westfalen vom 8. Mai 1652. Mein preuss. Staatsr. B. II. 8. 751 ft.
	        
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