Lehrplan
des
Gesangunterrichtes an den höheren Lehranstalten
für die männliche Jugend.
(Ergänzung der Lehrpläne und Lehraufgaben vom 29. Mai 1901.)
A. Allgemeines Lehrziel.
Auf planmäßiger Ausbildung des Gehöres und der Stimme
beruhende Fertigkeit, einfachere Melodien und namentlich auch die
Unter= und Mittelstimmen im mehrstimmigen Satze vom Blatte zu
singen, sowie verständnisvoller Vortrag guter Volkslieder und. anderer
für die Schule geeigneter Gesangstücke anerkannter, besonders deutscher
Meister älterer und neuerer Zeit; dadurch Einführung in das Ver-
ständnis der musikalischen Kunst überhaupt.
B. Methodische Bemerkungen.
1. Der Lehrer des Gesanges hat sich stets zu vergegenwärtigen,
daß der Zweck des Gesangunterrichtes an den höheren Lehranstalten
sich nicht in der Mitwirkung des Chors bei feierlichen Anlässen er-
schöpft, sondern daß der Schulgesang vor allem eine durchs Leben
dauernde Liebe zum Gesange erwecken und die Grundlagen des Ver-
ständnisses musikalischer Mittel und Formen geben soll. Dazu hat
der Gesangunterricht die Aufgabe, an der allgemeinen geistigen und
ästhetischen Ausbildung der Schüler und auch an ihrer gesundheitlichen
Entwicklung mitzuwirken.
2. Die nächstliegende Aufgabe des Gesangunterrichtes ist die
Ausbildung von Gehör und Stimme. Der Schüler soll lernen, Töne
aufzufassen und verschiedene Töne und Tonfolgen nach Höhe, Takt
und Rhythmus zu erkennen und zu singen.
Da zur Bezeichnung der Tonhöhen die Note dient, ist mit den
die Grundlage alles Musikunterrichtes bildenden Gehörübungen gleich-
zeitig die Einführung in die Notenschrift und die Einprägung der
Notennamen zu verbinden. Die Ziffer wird nur zur genaueren Kenn-
zeichnung der Intervalle benutzt. Der Gebrauch anderer, von den
gewöhnlichen Notennamen und den Solmisationssilben abweichender
Bezeichnungen bedarf der ministeriellen Genehmigung.
In Verbindung mit den Gehörübungen stehen Treff= und Zähl-
übungen, die sich an die einzustudierenden Stücke anschließen sollen,
ohne an sie gebunden zu sein.