Full text: Das Völkerrecht.

16 Einleitung. 
der Herrschaft über die gesamte Christenheit strebten. Es hat ledig- 
lich geschichtliches Interesse, den ersten Anfängen eines Völker- 
rechts im Altertum und im Mittelalter nachzuspüren, die sich ein- 
zustellen pflegten, wenn im Kampf um die Weltherrschaft ein 
Stillstand und damit der friedliche Verkehr unabhängiger Staaten 
eingetreten war, die aber wieder verschwanden, wenn der Zustand 
das Gleichgewicht aufs neue durch eine aufstrebende Weltmacht 
erschüttert wurde. 
2. Das Völkerrecht konnte daher erst entstehen, als sich mit 
dem Ausgang des Mittelalters neben dem deutschen Reich die großen 
und selbständigen, ihrer Souveränität sich bewußten christlichen 
Staatswesen Europas (Spanien, Frankreich, England, Österreich, 
der skandinavische Norden) bildeten und entwickelten. Die Ent- 
deckung der überseeischen Welt schuf zugleich eine bis dahin 
ungeahnte Fülle gemeinsamer Interessen, während das Vordringen 
der türkischen Herrschaft (1453 Eroberung von Byzanz) in den 
europäischen Staaten trotz aller Eifersucht das Gefühl der Zu- 
sammengehörigkeit stärkte. Freilich‘ bedurfte es noch langer und 
blutiger Kämpfe, um ein wenigstens labiles Gleichgewicht zwischen 
den europäischen Staaten zu schaffen. 
3. In diese Zeit fällt die Entstehung und die erste Blütezeit 
der völkerrechtlichen Wissenschaft. 
Schon die Postglossatoren hatten einzelne Fragen des Völker- 
rechts (neben der dem internationalen Privatrecht: angehörigen Lehre. 
von der Statutenkollision) behandelt. Ihnen folgten die kirchen- 
rechtlichen Schriftsteller, die sich mit besonderer Vorliebe der 
Besprechung des Kriegsrechts widmeten. Die Handelsbeziehungen 
zu den Ländern des fernen Ostens veranlaßten verschiedene Auf- 
zeichnungen des Seegewohnheitsrechts, unter welchen das Conso- 
lato del mar für die Gebiete des mittelländischen Meeres (aus 
dem Ende des 13. Jahrhunderts stammend) als der angesehenste 
coutumier die weiteste Verbreitung fand. Unter den Schriftstellern 
des 16. Jahrhunderts verdienen — nach da Vittoria (f 1546) und 
Belli (F 1575) — Albericus Gentilis (F 1608, Hauptwerk: De
	        
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