Die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse. $ 21. Begriff und Einteilung. 153
Daraus ergibt sich aber auch abermals (oben $ 8 III 3), daß der
Begriff der sogenannten völkerrechtlichen Servituten unhalt-
bar ist. Denn wenn es sich wirklich nur um die Einräumung eines
dinglichen Rechtes an fremder Sache handelt, so liegt ein völker-
rechtliches Rechtsverhältnis überhaupt nicht vor. Hat aber ein Staat
dem andern die Ausübung von Hoheitsrechten auf seinem Gebiet ge-
stattet oder sich in der Ausübung seiner Staatsgewalt vertragsmäßig
beschränkt, so ist von einem dinglichen Recht an fremder Sache nicht
mehr die Rede. Entweder Einschränkung des dominiums: dann entfällt
die Anwendung des Völkerrechts; oder aber Einschränkung des impe-
riums: dann entfällt der Begriff der Servitut.
Von diesem Standpunkt aus kann auch die Beurteilung derjenigen
Staatenverträge keine Schwierigkeiten bieten, welche die über Hoheits-
rechte getroffenen Vereinbarungen hinter dem Schein eines privat-
rechtlichen Rechtsgeschäftes, verbergen. Sie sind stets nach Völker-
recht, niemals nach nationalem Privatrecht zu beurteilen. Der ge-
wollte Inhalt des Geschäftes, nicht die zu seiner Verdeckung gewählte
Einkleidung, ist maßgebend. Das Rechtsgeschäft, durch welches Schwe-
den im Jahre 1877 die Insel St. Barthelemy gegen Zahlung einer Summe
Geldes an Frankreich, Dänemark im Jahre 1916 die westindischen
Inseln an die Vereinigten. Staaten abgetreten hat, ist kein „Kauf“ im
Sinne des ‚Privatrechts, sondern völkerrechtliche Gebietsübertragung.
Dasselbe gilt von dem Vertrage vom 12. Februar (30. Juni) 1899, durch
welchen Spanien die Karolinen, die Palauinseln sowie die damals unter
seiner Herrschaft stehenden Marianen gegen Zahlung von 25 Millionen
Pesetas an das Deutsche Reich „verkaufte“. Der „Pacht‘-Vertrag, den
Chin mit dem Deutschen Reich am 6.März 1893 über die Abtretung
der Kiautschoubucht geschlossen hat, ist völkerrechtlicher Natur. China
hat die Ausübung der Hoheitsrechte an das Deutsche Reich abgetreten.
Daß die Form eines auf 99 Jahre geschlossenen Pachtvertrages ge-
wählt worden ist, um die Empfindlichkeit des einen Kontrahenten‘
und die Begehrlichkeit andrer Mächte zu schonen, ist völkerrechtlich
durchaus gleichgültig (oben $10IV4). Auch der „Pachtvertrag‘, der
gemäß Art.8 (Jahrbuch I 64) des deutsch-französischen Abkommens
über Äquatorial-Afrika vom 24. November 1911 (R.G.Bl. 1912 S. 206)
abgeschlossen worden ist, enthält neben seinen privatrechtlichen Be-
stimmungen die Einräumung eines Durchzugsrechts, also eine Ein-
schränkung der deutschen Staatsgewalt°®). Das sogenannte Testament
des Königs der Belgier vom 2. August 1889, durch welches er als souve-
räner Herrscher des Kongostaates alle seine Rechte an diesem Staat
auf Belgien überträgt, ist einseitiger Staatsakt eines souveränen Staates,
3) Vgl.Schoenborn, K. Z. VII 438.