8 3. Geschichte des Völkerrechts. 17
Alexander zunächst am 26. September 1815 zwischen den Herrschern
von Rußland, Österreich und Preußen geschlossen, bald auch fast die
sämtlichen übrigen Fürsten Europas (Großbritannien, die Türkei, der
Kirchenstaat blieben fern) zur Aufrechterhaltung des europäischen
Friedens vereinigte. Praktische Verwirklichung fand dieser Gedanke
in dem Vierbund, der am 20.November 1815, dem Tage des zweiten
Pariser Friedens, von Rußland, England, Preußen und Österreich ge-
schlossen wurde; durch den Beitritt I'rankreichs (auf dem. Aachener
Kongreß 1818) erweitert sich dieses Bündnis zur „Pentarchie
der Großmächte“, die fortan, bis etwa 1848, die Geschicke
Europas zu bestimmen sich anmaßte. Im Namen des Legitimitäts-
prinzips®) sollte nicht nur die Aufrechterhaltung des neu geschaffe-
nen Besitzstandes der Mächte (dessen „Legitimität‘ denn doeh in
vielen Beziehungen mehr als bedenklich war) gesichert, sondern auch
die innere Ordnung der Staaten gegen revolutionäre Umtriebe gewahrt
werden. Die Großmächte traten zur Beratung der gemeinsamen Ange-
legenheiten Europas auf den Kongressen zu Aachen 1818 (Fleisch-
mann 24), Troppau 1820, Laibach 1821 (Fleischmann 26) und Verona
1822 zusammen. |
Als europäischer Areopag wollten sie die auftauchenden Streitig-
keiten schlichten oder entscheiden und die gefährdete Ordnung, wenn
nötig, durch bewaffnete Intervention schützen. Österreichische
Truppen rückten in Neapel und Sardinien (1821), französische in
Spanien ein (1823), um im Namen der Pentarchie das legitime König-
tum zu verteidigen. Aber das Bündnis lockerte sich, als Canning die
Leitung der auswärtigen Angelegenheiten Englands wieder übernommen
hatte (1822). Die Großmächte waren nicht imstande, den Abfall der
spanischen und portugiesischen Kolonien in Mittel- und Südamerika
und deren Umwandlung in selbständige Staaten zu hindern (1810 bis
1825), die von England sofort anerkannt und durch Handelsverträge
den englischen Interessen dienstbar gemacht wurden. Und der von
Canning unterstützte griechische Freiheitskrieg (1821—1829) endete
nach dem russisch-türkischen Frieden zu Adrianopel vom 14. Sep-
tember 1829 (Fleischmann 29, Strupp I 179) mit der Anerkennung der
Unabhängigkeit ‚Griechenlands durch das Londoner Protokoll vom
3.Februar 1830 und den Vertrag vom 7.Mai 1832 (Fleischmann 32
und 34), unterzeichnet von Frankreich, Großbritannien und Rußland.
Auch die Loslösung Belgiens von den Niederlanden fand die Zustim-
mung der Großmächte (Londoner Konferenz von 1830); das neu ge-
schaffene Königreich Belgien wurde durch Vertrag der Großmächte vom
15.November 1831, an dessen Stelle die Verträge der Großmächte mit
6) Brockhaus, Das Legitimitätsprinzip. 1868. deStieglitz (oben Note 3).
v. Liszt, Völkerrecht. 11. Aufl. 2