52 I. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
ten Selbständigkeit, sei es umgekehrt. Die Rechtsstellung des halb-
souveränen Staates ist daher von Fall zu Fall zu prüfen und fest-
zustellen. Meist ist die diplomatische Vertretung dem oberherrlichen
Staate vollständig übertragen (in Marokko ist der französische Gene-
ralresident der einzige Vermittler mit den fremden Mächten, während
Bulgarien schon vor seiner Unabhängigkeit diplomatische Vertreter bei
allen Großmächten unterhielt); das Recht der Kriegführung ist aus-
geschlossen, das Vertragsrecht dagegen ist in nicht rein politischen Be-
ziehungen eingeräumt. So sind an Handelsverträgen, Literarkonven-
tionen, am Weltpostverein, an der Genfer Konvention, an Eisenbahn-
und Telegraphen-Übereinkommen auch die halbsouveränen Staaten be-
teiligt; Bulgarien, damals nur halbsouveräner Staat (nicht aber Tunis
oder Korea), hat auch an den Haager Friedenskonferenzen teilgenom-
men. Daher kann der halbsouveräne Staat innerhalb seiner Selbstän-
digkeit selbst mit dem Oberstaat Verträge schließen (vgl. das türkisch-
bulgarische Eisenbahnübereinkommen von 1894). Für rechtswidrige
Handlungen des halbsouveränen Staates haftet der Oberstaat, soweit
es sich nicht um die dem Unterstaat überlassenen Rechtsbeziehungen
handelt (unten $ 2512). Wie weit dagegen der Einfluß des Ober-
staates auf die innere Verwaltung des halbsouveränen Staates reicht,
hängt von den besonderen Vereinbarungen ab, wenn auch ein gewisser
Einfluß, namentlich auf Heerwesen und Finanzgebarung, schon durch
die völkerrechtliche Vertretung unvermeidlich wird. Nicht notwendig
erforderlich ist die Verpflichtung des halbsouveränen Staates zur Waffen-
hilfe bei Kriegen des Oberstaates. Beschränkt sich die Verpflichtung des
einen Staates gegen den andern auf Kriegshilfe, so spricht man wohl
von Vasallität; aber diese Beschränkung, durch welche die Souve-
ränität nicht berührt wird, kommt heute nicht mehr vor; doch wird
auch in der Literatur ungenau der Ausdruck Vasallität gebraucht, unı
das Rechtsverhältnis der Halbsouveränität zu bezeichnen.
Die Rechtsstellung des halbsouveränen Staates dem oberherr-
lichen Staate gegenüber kann unter die Garantie dritter Mächte ge-
stellt sein (unten $ 23 II).
Die Begründung einer bisher nicht vorhandenen Oberherrschaft
bedarf der Vereinbarung der Beteiligten und der Anerkennung der übri-
gen Mächte. Diese haben ein Einspruchsrecht, soweit durch die Ver-
änderung in ihre wohlerworbenen Rechte eingegriffen wird (darüber
unten 8 21 IV). Die Aufkündigung der Schutzherrschaft durch den
Unterstaat ist ausgeschlossen, da er ja gerade in dem Verhältnisse zu
dem Oberstaate sich seiner staatlichen Souveränität begeben hat. Die
Aufkündigung hat ebensowenig unmittelbare Rechtswirkung, wie etwa
die Unabhängigkeitserklärung einer Kolonie.