Full text: Geschichte des Elsasses von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart.

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Geiler berufen und wirkte hier unermüdlich bis zu seinem Tode 
1510. · ' 
Er war ein langer, hagerer, blasser Mann, mit hoher Stirn 
und feurigen Augen, perfönlich bescheiden, rechtlich, gewissenhaft, 
freundlich im Umgang, unbestechlich und wahrhaftig, daher auch an- 
gefeindet von denen, welche seine freimüthige Kritik empfindlich traf. 
Geiler war kein Fortschrittsmann und kein hochfliegender Geist. 
Er fürchtete, die neu aufblühenden classischen Studien möchten der 
„edlen, freien Dialektik“ des Mittelalters nachtheilig werden. Er 
besorgte, das Lesen der heidnischen Poeten könne die Sitten der 
Jugend verderben. Und wenn er mystische Anschauungen vortrug, 
so blieb er fern von der titanischen deutschen Mystik, so äußerte er sich 
halb ablehnend und warnend über Tauler, so hielt er sich lieber an die 
plane, verständige, scholastisch geregelte, nett in ein System gebrachte, 
allen Visionen und sonstigem Ueberschwank feindliche Mystik des 
Franzosen Jean Gerson. Er drang allerdings auf innere Religion im 
Gegensatz zur äuheren Werkheiligkeit, die sich bequem mit ihrem ewigen 
Heil durch Ceremonien, Fasten und Gebetemurmeln abzufinden denkt. 
Es stiegen ihm auch über den Ablaß manche Bedenken auf und 
der Misbrauch desselben war ihm wol klar. Aber wie zahm macht 
er solche Ansichten geltend. We er an Lehren der Reformation an- 
streift, geschieht es wie zufällig. Er ist noch ganz der Scholastik 
ergeben. Die Bibel erklärt er mit der äußersten Willkür. Und 
alle möglichen anderen Autoren scheinen ihm ebenso viel werth zu 
sein, wie die heilige Schrift. Auf Reinigung der Kirchenlehre ist 
sein Absehen nicht gerichtet. Worauf es ihm ankommt, ist allein 
Sittenbesserung. Und diese sucht er zu erreichen durch die unmit- 
telbare schlagende Gewalt des Wortes. 
In der packenden Kraft der Rede liegt seine Stärke. Aber er 
packt die Phantasie mehr als den Charakter. Er unterhält mehr, 
als er bekehrt. Er belustigt mehr, als er erschüttert. Er läßt sich 
mehr zu seinem Publicum herab, als daß er es zu sich hinaufzöge. 
Er ist ein Satiriker auf der Kanzel. Er ist ein Stück von einem
	        
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