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Was hat nun Geiler erreicht mit seiner Thätigkeit?
Er legte großes Gewicht auf die öffentliche Wirksamkeit und
gestand sehr naiv, daß er sich mit einem Concurrenten nicht vertragen
würde. Gleichwol ist er kein praktischer Mensch. Er ist keine zu-
Hreifende, anfassende, die Welt einrenkende Natur. Er redet über
Reformen, wie ein Blinder von der Farbe. Er will eine Refor-
mation von unten herauf, Jeder soll an seiner Stelle reformiren,
der Bischof in seiner Discese, der Abt in seinem Kloster, der Pfarrer
in seiner Gemeinde: alles schsn und wohlgemeint, aber alles fromme
Wünsche ohne Kenntnis der wahren sittlichen Lebensmächte, naive
Rathschläge ohne Ahnung der praktischen Wege um etwas durchzu-
setzen. Wozu hatte Geiler seine nahen Beziehungen zum Kaiser?
Wogzu hatte er seine genaue Bekanntschaft mit hohen Kirchenfürsten?
Wozu vor allem hatte er seine Kanzel?
Wenn Savonarola Buße predigt, so fährt der Sturmwind ein-
ber und entblättert die südlichen Bäume, das sinnenfreudige Volk
wirft seinen Schmuck weg und reinigt strenge die Seele zu einem
Tempel des Herrn. Geiler von Kaisersberg war nach vierundzwanzig-
jähriger Amtsführung noch nicht dahin gelangt, den Unfug des
Roraffen im Münster zu beseitigen.
Dem deutschen Prediger fehlte das sittliche Pathos, es fehlte
ihm der rechte Glaube, der Glaube an sich und seine Kraft, an die
Kirche und ihre Zukunft. Die Concilien des fünfzehnten Jahr-
hunderts hatten sich fruchtlos erwiesen. Nun erwartete er nichts mehr
davon und deshalb überhaupt nichts mehr von Reformen im großen
Style. „Wen sollte man auf ein Concilium schicken? fragt er.
Etwa die Aebte? Nun, betrachtet euch die einmal. Oder die Pröbste2
Oder die Dechanten? Nehmen wir selbst an, daß man die Doctores
dazu beriefe, die Gelehrten: wenn wir auch dahin kommen, was
sind wir für Leut'", wir sind nichts werth."
Auf solche Weise hat Kaisersberg nicht einmal, sondern hundert-
mal seinen eigenen Stand herabgesetzt. Er kannte alle Schäden
der Kirche, die Unkeuschheit der Priester, die Lasterhaftigkeit der