154
Klöster, ihren verderblichen Einfluß auf das Familienleben, die An-
häufung von Pfründen, ihre Verleihung an ganz junge Knaben,
die finanzielle Aussaugung der Gläubigen, die ungescheute Pflicht-
verletzung der Würdenträger. Und das alles brachte er auf die Kanzel.
Er bekräftigte die erregte Kritik des Volkes mit der Autorität seines
Wortes. Nicht umsonst haßten ihn die Mönche. Er machte die
Kanzel zu einem Pranger des Clerus.
Dem Satiriker als Prediger stellen wir den Satiriker als Dichter
an die Seite: von Kaisersberg wenden wir uns zu Brant.
Sebastian Brant, ein Straßburger Kind (1458—1521)
war Jurist und Professor in Basel, 1503 wurde er Stadtschreiber
in Straßburg. Er nahm somit dieselbe Stellung ein, wie dreihundert
Jahre früher Gottfried von Straßburg. Und das sechszehnte Jahr-
hundert hielt nicht weniger von ihm, als das dreizehnte von seinem
Vorgänger.
Er hat viel geschrieben und herausgegeben, lateinisch und deutsch,
Poesie und Prosa. Aber zu einem berühmten Dichter machte ihn
nur sein Narrenschiff, das 1494 zuerst erschien. Einen Erfolg,
wie ihn Brant damit errang, hat die deutsche Litteraturgeschichte nur
selten zu verzeichnen. Das Buch hat unzählige Auflagen erlebt.
Gleich im ersten Jahre wurden drei Nachdrücke veranstaltet. Es
wurde überarbeitet, ausgezogen, nachgeahmt. Es wurde ins lateinische,
niederdeutsche, niederländische, französische und englische überfetzt.
Die schriftstellerischen Genossen nannten es eine göttliche Satire.
Kaisersberg hielt Predigten darüber. Man wollte es in die Schulen
einführen und erging sich in den ausschweifendsten bobeeserhehungen,
als ob eine neue Epoche deutscher Dichtkunst beginne.
Gleichwol hat die moderne Kritik mit Recht geurtheilt, an dem
Buche lasse sich nichts poetisches entdecken, als einzelne Ausdrücke
und Bilder, die Versabtheilung und der Reim. Worin also lag
die Bedeutung des Werkes?
Jede eingreifende litterarische Leistung muß den Januscharakter
an sich tragen, sie muß zugleich rückwärts und vorwärts schauen, sie