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muß Altes abschließen und Neues beginnen. Und dies gilt in vollem
Maße von Sebastian Brants Narrenschiff. .
Es ist aus Lesefrüchten hervorgegangen. Es ist ein Repertoriun
moralischer Lehrsätze aus alter und neuer Zeit. Der Verfasser las
die Bibel und die lateinischen Autoren durch und sammelte, was sich
ihm an treffenden Sentenzen darbot. Er war aber auch mit
der volksthümlichen Sittenlehre wohl vertraut, wie sie in Sprich-
wörtern niedergelegt ist. Den ganzen Stoff, den er in alter Litte-
ratur und lebendiger Ueberlieferung vorfand, hat er in Eins gefaßt
und trefflich redigirt. Uralte, sittliche Weisheit redet durch seinen
Mund zu den Zeitgenossen.
Aber auch die schätzbarsten meralischen Aussprüche und Betrach-
tungen würden in trockener Zusammenstellung besten Falls ein Schul-
buch, ganz gewiß nie ein Volksbuch werden können. Der kluge Dr.
Brant verstand sein Geschäft weit besser. Er verarbeitete seine auf.
gehäuften Schätze zu einer Satire auf alle Stände, wie sie von
lange her in der mittelalterlichen Litteratur üblich waren, und er
wählte dazu eine Form, die ihm die weiteste Verbreitung sichern mußte.
Es liefen zu jener Zeit Bilderbogen mit kurzen gereimten Auf-
schriften um, worin die verschiedensten menschlichen Laster und
Schwächen als Figuren in Narrenkleider dargestellt wurden. Da
zeigt sich der Betrüger mit der Schellenkappe, dort der Aufschneider,
dort der Verschwender, dort der Weltlichgesinnte, der nicht ans ewige
Leben denkt. Diese Auffassung eignet sich Brant an und packt die
sämmtlichen Narren auf ein Schiff, das den Weg nach Narragonien
einschlägt. Sein Buch ist eine Sammlung von Holzschnitten, worin
die früheren poetischen Beischriften zu längeren Kapiteln ausgedehnt
sind, und innerhalb dieses Rahmens ein vollständiges Gemälde der
damaligen Gesellschaft entrollt wird.
Und hiermit hat Brant seine Zeit entzückt. Die Stimmung
allgemeiner Kritik und der nichts schonenden Satire hat durch ihn
ihren stärksten, ihren classischen Ausdruck erhalten. „Wir sind alle
nichts werth-, sagten sich Hohe und Geringe, Geistliche und Laien,