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Von Kaisersberg, Brant, Pauli gehen populäre Wirkungen aus,
welche die Grenzen ihrer engeren Heimath weit überschreiten. Ihr
Publicum ist nicht Straßburg, nicht das Elsaß, ihr Publicum ist
ganz Deutschland, ja (für Brant wenigstens) ein großer Theil von
Europa, und zwar gerade die Länder, in denen die Reformation.
Wurzel schlagen sollte: Deutschland, Niederlande, England, Frank-
reich, die sich eben hierdurch als ein zusammengehöriger nordeuro-
päischer Culturkreis darftellen. Man darf sagen: Sebastian
Brant machte Straßburg einen Augenblick lang zu dem
Centrum dieses Culturkreises, was die populäre sati-
rische Lehrdichtung betrifft. Die Volksstimmung, auf welche
die Reformation sich stützt, hat durch ihn ihren gemeingiltigsten
Ausdruck erhalten.
Dem nordeuropäischen Culturkreis steht der südliche und sein
Mittelpunct Italien gegenüber, die Heimath des Papstthums und
des Humanismus.
Der Humanismus, die wieder belebte Antike, ist die neue
geistige Macht, welche Südeuropa gegen den entfesselten Volksgeist
des Nordens einsetzt. Aber diese Macht, an sich ein Phänomen rein
litterarischer Art, wirft sich in die Opposition gegen das Papstthum.
Der auferweckte Donnerer Zeus zieht über dem Statthalter Chrifti
sein drohendes Gewölk zusammen. Und vor Ovid, Horaz und
Cicero müssen der heilige Prudentius, Hieronymus und Augustinus
die Segel streichen.
Mit solcher Gesinnung wird die Bewegung nördlich von den Alpen
aufgenommen. Und das Elsaß zeichnet sich dadurch aus, daß
es am meisten gesucht hat, den Humanismus zu nationa-
lisiren und ihn praktisch für Schule und Unterricht zu verwerthen.
In der deutschen Westmark ist der Bürgersinn am zähesten, der Volks-
geist am mächtigsten, der entschiedene Nationalgeschmack des vierzehnten
Jahrhunderts (S. 63) geblieben und erstarkt. Er verleiht dem Hu-
manismus zunächst eine abgeschwächte, unechte Gestalt, welche der
Antike ziemlich fern, dafür dem deutschen Wesen um so näher steht.