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wie sie und viel schärfer über die Geistlichen los; er schimpft auf
die bösen Prälaten „die thun viel teufelischer Thaten, als die Teufel
aus der Höll“; er macht die Mönche herunter, deckt alle ihre Schwächen
auf, indem er sich selbst nicht schont; er begrüßt das erste Auftreten
Luthers nicht ohne Freude und übersetzt noch Luthers Schrift über
die babylonische Gefangenschaft: — plötzlich sattelt er mn, der ganze
furchtbare Ernst des auflodernden Kampfes wird ihm klar, seine ge-
wöhnliche Frivolität verläßt ihn, der Mönch wacht in ihm auf, er
fühlt daß es sich um die Existenz handelt und dichtet die befte, bos-
hafteste, einschneidendste Satire, die gegen die Reformation je erschien,
zugleich sein am meisten durchdachtes und einheitliches Werk, den
a„ großen lutherischen Narren“ (1522).
Doas ist ein Gedicht, das sich selbst neben Ulrich von Huttens
lucianischen Dialogen sehen lassen darf. Auch erhebt es sich in den
entscheidenden Partien zu ganz dramatischer Spannung und Ent-
wickelung. Wie die lutherischen Bundesgenossen sich sammeln und
die verschiedenen Elemente der Reformation dabei charakterisirt wer-
den, wie sie dann den Feldzug beginnen, Kirchen und Schlösser
stürmen und zuletzt Murner belagern, wie Luther da Unterhand-
lungen anfängt und Murner zu sich herüberziehen will, indem er
ihn in die Karten sehen läßt und ihm seine Tochter (die Reformation)
zur Ehe anträgt, wie dann die Hochzeit vor sich geht und Murner
in der Brautnacht entdeckt, daß seine Neuvermählte an dem „Erb-
grind“ leide, worauf er sie jämmerlich zerbläut und fortjagt: das
Alles ist zwar roh und flüchtig ausgeführt, aber ganz vortrefflich
angelegt. Nur darf man bei Murner weder hier noch sonst je
eigentlichen Humor suchen. Dazu ist er viel zu bösartig, wüthend
und wild. «
Sebastian Branis satirische Muse ist ein ehrbares Fräulein in
höheren Jahren, das mit lächelndem Behagen die Passagiere des
Narrenschiffes wie eine Schaar geliebter Canarienvögel oder Möpse
überzählt und mustert. Thomas Murners begeisternden Genius
können wir uns nicht anders denken, als wie seine Zeitgenossen ihn