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seine ausgezeichneten Gaben in Vorlesungen zur Geltung zu bringen,
wurde er in den Schutz der Stadt und als Bürger aufgenommen.
Er war eigentlich, wie schon bemerkt, kein Prediger für die
Masse. Es schadete ihm eine gewisse Vorliebe für die Entwickelung
feinerer Gedankenreihen und eine damit zusammenhängende über-
große Wortfülle. Er wirkte nicht packend, sondern mehr überzeugend
durch eindringliche dialektisch geschulte Beweisführung. „Ich weiß
keine so scharfsinnige und gelehrte Predigt zu thun, wie Ihr,“ sagte
ihm späterhin Luther zu Wittenberg, indem er sich über seine ale-
mannische Mundart ein wenig lustig machte. „Aber wenn ich auf die
Kanzel trete, so sehe ich, was ich für Zuhörer habe. Denen predige
ich was sie verstehen können, denn die meisten sind arme Laien und
schlichte Wenden. Ihr aber suchet Eure Predigt gar zu hoch und
schwebt in den Lüften im Gaischt, Gaischt. Darum gehören
Eure Predigten nur für die Gelehrten, die können meine Landsleute
allhier, die Wenden, nicht verstehen.“
Nichtsdestoweniger empfand man zu Straßburg in Butzers
Kanzelreden die überlegene Geisteskraft, und er predigte im Münster
neben Zell mit vielem Beifall.
Es ist eine kleine unansehnliche, wenn auch kräftige Gestalt,
welche die Reihen des gewählten Publicums durchschreitet, um den
hölzernen Predigtstuhl zu besteigen, den man einst für Meister
Mathis gezimmert und für ihn jeßt hervorgeholt hatte, weil die
Domherren den gebannten Priester nicht auf die „Dertorkanzel“
lassen wollten.
Eine kleine unansehnliche Gestalt. Aber auf dem kurzen Halse
sitzt ein mächtiger Kopf mit durchgearbeiteter Stirn und mit grohen,
klugen, forschenden, prüfenden, beobachtenden Augen; darunter stark
heraustretende Backenknochen, eingesunkene Wangen und tiefe Furchen
um den vorspringenden Mund und die fleischigen Lippen. Das scharf-
geschnittene Gesicht ist ganz Auge und Mund, Späherblick und
Ueberredungskunst, eine Hindeutung auf Schlauheit kaum verkennbar.
Wartet nur wenige Jahre, und der kleine Mann ist die Seele
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