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Täuschen wir uns indessen nicht und vertrauen wir dem günsti-
gen Gesammteindruck nicht allzusehr. Das was in Spangenbergs
Schriften zum ersten Male recht handgreiflich zum Vorschein kommt,
ist der deutsche bürgerliche Philister, dessen Signalement sich etwa
so zusammenfassen läßt: respectabel, sittlich und ehrbar; guter Fa-
milienvater; sehr guter Christ d. h. strenggläubig und stark phari-
säisch gegenüber anderen Confessionen; Schwung und Leidenschaft
verpönt; heidenmäßiger Respect ver dem was er die Obrigkeit nennt
und worunter er unter Umständen jeden Büttel versteht; dabei sehr
großmäulig wo es gilt auf die Tyrannen, auf Hof und Fürsten im
allgemeinen zu räsonniren; in Summa: ungefährlich.
Spangenberg selbst erscheint uns innerhalb dieser Gattung als
der liebenswürdige Magister, der in vielfältigen persönlichen und
geselligen Beziehungen sich wohlfühlt, die er durch sein pretisches
Talent zu schmücken und anmuthig zu beleben weiß. Nie versäumt
er, bei allen guten Freunden, Gönnern und Gevattern zu Geburts-
und Namenstagen mit den Erzeugnissen seiner Muse aufzuwarten.
Aber auch mit Dame Phantasie verkehrt er in den Formen einer
etwas steifen altfränkischen Galanterie. Er hat keine unbefangene
Freude an der Welt, er sucht Allem lehrhafte Beziehungen auszu-
pressen, er ist eine grundernste Natur: aber er besitzt doch eine Ader
wirklichen Humors, welche das Urgutmüthige zu schildern weiß, das
uns zwischen Lächeln und Rührung hält. Er ist nicht originell: aber
er ist gründlich. Er ist nicht geistvoll und genial wie Fischart: aber
er versteht mit einem etwas schwerfälligen Apparat schließlich doch
Gestalten zu schaffen, die existiren können. Alle seine Werke zeigen
scharfumgrenzte etwas typische und immer sehr einfach gedachte Cha-
rakterbilder, und eine strenggeführte folgerichtige Handlung, welche
Fülle und Anschaulichkeit nicht vermissen läßt.
Spangenberg ist eifriger Protestant und äußert bei jeder Ge-
legenheit die tiefste unterwürfigste Verehrung vor dem theuren Gottes-
manne Luther. Kein Wunder daher, daß er es an Polemik gegen
den Katholicismus nicht fehlen läßt: aber diese Holemik hat nichts
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