Full text: Geschichte des Elsasses von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart.

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sänftigende Kraft. Diese Seelenweichheit ist die Signatur der 
Periode, welche Spener einleitet. Er kommt einem Zug der Zeit 
entgegen. Darum hat er mit den einfachsten Mitteln, mit seinen 
schlichterbaulichen Predigten, mit seiner Verschmähung des gelehrten 
Tandes, mit seiner Vernachlässigung des Dogmatischen über dem 
Praktischen, mit seinem Bibelcultus, mit seinen Katechesen, mit 
seinen Hausandachten, mit seinen geistlichen Conversationen so ge- 
waltige Wirkungen erzielt. Darum gelang es ihm, in weiten 
Kreisen der lutherischen Kirche dem ganzen Leben die Uniform der 
Frömmigkeit anzuziehen, das Christenthum aus dem Kopf ins Herz 
zu bringen, und den Spitznamen der Pietisten zu einem Ehren- 
namen zu machen, den auch wir in seiner historischen Begrenzung 
als solchen gelten lassen können. 
Der Pietismus war mit all seinen Ausartungen, seinem Buß- 
kampf, seinen Erweckungen, seinem Traum- und Visionswesen, worin 
sich die Zustände der alten Mystik zu erneuern schienen und woran 
Spener selbst wenig Schuld trug, der Pietismus war mit all seinen 
Uebertreibungen ein mächtiger Hebel unserer nationalen Entwicke- 
lung. Der Pietismus hat uns zum Theil zurückgegeben, was wir 
im zwölften und dreizehnten Jahrhundert besaßen. Der Pietismus 
hat dem Einzelnen wieder das eigene Innere erschlossen. Er hat 
ihn wieder auf die Regungen seiner Seele achten gelehrt. Er hat 
wieder das Gefühl zu einer sittlichen Macht erhoben. Er hat das 
exclusiv Männische der Zeit vom fünfzehnten bis siebzehnten Jahr- 
hundert gebrochen. Er hat die Frauen geistig emancipirt. Er hat 
das Publicum Klopstocks erzogen. Er hat in der religiösen Senti- 
mentalität den Grund zur Liebessentimentalität gelegt. Er hat auf 
religiösem Gebiete selbst die Brüdergemeinde und durch sie mittelbar 
auch Schleiermacher hervorgebracht. 
So tief begründet, so weit wirkend war die geistige Umwand- 
lung, in welcher noch einmal — zum letzten Mal — ein Elsässer 
als Führer den Deutschen voranschritt. Aber Spener ging, wie wir 
wissen, von Frankfurt nach Dresden und endigte, der erbgesessenen
	        
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