383
dem ist er ein Wiedergeborener, ein Erweckter, wie es der Pietismus
nannte. Seine Lieder fließen aus dieser Gesinnung. Sie lehnen
sich an die Weise älterer lutherischer Sänger wie Paul Gerhardt.
Sie athmen jene einfache kraftvolle ihrer selbst gewisse Frömmicgkeit,
die zu jeder Zeit verstanden wird, ob man nun gläubig sei oder nicht.
Wir sehen, der elsässische Parnaß des achtzehnten Jahrhunderts
ist nicht sehr bevölkert. Dennoch war der litterarische Glanz des
Elsasses noch nicht ganz verblaßt. Nur sammelt er sich fast ausschließ-
lich um die Universität und auch hier nur um wenige Häupter.
Durch Philologen, Historiker und Staatsrechtslehrer wie Samuel
„Gloner, Mathias Bernegger, Heinrich Bökler; durch die Nähe Frank-
reichs und die bequemere Gelegenheit Französisch zu lernen — war
Straßburg gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zu einer
Prinzenuniversität geworden, welche die vornehme Welt aus allen
Theilen Deutschlands (wenn auch niemals in sehr großer Zahl) besuchte.
An der theologischen Facultät wirkten Männer von Ruf
und Ansehen. Außer den schon erwähnten Lehrern Speners, Konrad
Dannhauer und Johannes Schmidt sind um und nach 1650 der
zelotische Dorsche, der als Kirchenhistoriker berühmte Bebel und der
um die Erklärung des alten Testaments verdiente Sebastian Schmidt
zu nennen.
Aber unter dem französischen Regiment war es mit dem Ge-
deihen der protestantischen Theologie zu Ende. Gleich nach der An-
nexion wurde ein jesuitisches Seminar und ein Collegium zur Er-
ziehung der Jugend gegründet und 1701 die Molsheimische Uni-
versität (S. 306) nach Straßburg verlegt. Die protestantische Facultät
war nunmehr das Ziel fortwährender offener und versteckter Angriffe,
Verläumdungen und Intriguen. Manche bedeutende Lehrer wollten
unter solchen Umständen nicht bleiben und Auswärtige begaben sich
nicht leicht auf so unterwühlten Boden. Es trat eine Art Erstarrung
der theologischen Wissenschaft ein. Spener, der berühmteste Zögling
der Straßburger Schule, übte keine Rückwirkung auf dieselbe aus.
Wittenberg und Straßburg waren die letzten Hauptburgen der