252 Die Lage um die Jahreswende 1916 /17
von der Entente offiziell erst am 12. Januar beantwortet wurde und der in-
zwischen durch diese Antwort seine hier vorausgesehene Erledigung gefunden
hatte. Irgend etwas Neues lag für mich nicht vor. Der Reichskanzler hatte
die gleiche Ansicht. Am 16. Januar sprach er sich zum Grafen Bernstorff
dahingehend aus: „Wir sind entschlossen, das Risiko (des Bruches und
möglicherweise des Krieges mit den Vereinigten Staaten) auf uns zu
nehmen.“ Dieses Telegramm war wohl noch nicht in den Händen des
Grafen Bernstorff, als er selbst an das Auswärtige Amt drahtete: „Wenn
militärische Gründe nicht unbedingt ausschlaggebend sind, wäre Aufschub
(des uneingeschränkten U-Bootkrieges) dringend erwünscht, Wilson glaubt,
Frieden erreichen zu können auf Grundlage der von uns vorgeschlagenen
Gleichberechtigung aller Nationen.“
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes fügte bei Übermittlung
dieses Telegrammes hinzu, er habe beim Chef des Admiralstabes befür-
wortet, durch Ansetzung bestimmter, vom Botschafter vorgeschlagener
Schonfristen für neutrale Schiffe dazu beizutragen, daß die Gefahr des
Bruches mit Amerika vermindert würde. Ich sagte schon, daß wir hierauf
eingegangen sind. Irgendeine AÄnderung der Gesamtlage kann also das
Auswärtige Amt auch in diesem Telegramm Bernstorffs nicht erblickt
haben. Der Staatssekretär hätte sonst darauf hingewiesen.
Ich habe in dem ganzen Verkehr der Reichsleitung mit dem Bot-
schafter nicht klar gesehen und ihn auch nur ganz bruchstückweise erfahren.
Der Gang der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten ist mir
fremd geblieben. Der Reichskanzler und der Staatssekretär des Auswär-
tigen Amtes klagten über die Schwierigkeiten der Verbindung mit dem
Botschafter und die dadurch hervorgerufenen Unklarheiten. Sie mußten
pflichtmäßig jede Möglichkeit ausnutzen, um trotz des uneingeschränkten
U-Bootkrieges den Bruch mit den Vereinigten Staaten zu vermeiden.
Am 29. Januar trafen der Reichskanzler v. Bethmann und der Staats-
sekretär Dr. Zimmermann für mich überraschend in Pleß ein. Wir wurden
zu einer gemeinsamen Besprechung zum Kaiser befohlen. Es handelte
sich um einen neuen Friedensvermittlungsvorschlag des Präsidenten Wil-
son. Der Reichskanzler las eine von ihm verfaßte Weisung an Graf
Bernstorff vor, in der er sich auf den Boden eines Friedens nach dem
status quo ante stellte.
Als Grundlage für etwaige Friedensverhandlungen sollten, soweit ich
mich entsinne, folgende Forderungen dem Präsidenten Wilson jetzt oder
bei anderer Gelegenheit mitgeteilt werden:
„Zurückerstattung des von Frankreich besetzten Teiles von Ober-Elsaß.
Gewinnung einer Deutschland und Polen gegen Rußland strategisch und
wirtschaftlich sichernden Grenze.