$ 34. Wirkungen der Enteignung. 41
Die Entwicklung des öffentlichen Rechts und insbesondere die
nach und nach sich ausbildende Enteignungsgesetzgebung machten
diese Auffassung unmöglich. Gegenüber dem so geschaffenen wirk-
lichen Recht war sie eine Unwahrheit geworden. Denn die Regeln
vom Kauf fanden auf diesen sogenannten Zwangskauf und seine
Wirkungen offenbar keine Anwendung. Die Theorie suchte zunächst
andere Auswege, vor allem auch in der Annahme einer zivilrecht-
lichen Obligation sui generis, aus der dann die pflichtmäßige
Eigentumsübertragung fließe®. Schließlich fügte sie sich zögernd
in die Tatsache, daß es sich hier um die unmittelbare Wirkung
eines öffentlichrechtlichen Aktes der Staatsgewalt handle.
Die mangelnde Vertrautheit mit öffentlichrechtlichen Dingen
führte zunächst noch zu allerlei Notbehelfen. Man nannte den
Enteignungsausspruch eine Jex specialis; damit war wieder gar
nichts erklärt, sondern nur dem Begriff des Gesetzes in verständnis-
loser Weise Gewalt angetan®. Oder die Enteignung mußte sich
sollte also doch auch dem preußischen seinen Platz unter diesen wichtigen Ge-
setzen nicht mißgönnen.
® Gierke, D. Pr.R.II S. 470: „Der in sich widerspruchsvolle Begriff eines
ungewollten Verkaufs ist der modernen Rechtsgestaltung gegenüber vollkommen
unhaltbar.“
°80G. Meyer, R.d. Expropr. S.184ff. In D. V.R. (1. Aufl) 1S. 269 hat er
sich diesen Aufbau des Rechtsinstituts nur mehr vorbehalten für den Ausnahme-
fall, wo das Enteignungsgesetz dem Enteigneten zu einer (eigentumbegründenden)
Besitzübertragung verpflichte. In den späteren Auflagen fällt auch das hinweg.
Es gibt nämlich kein solches Gesetz.
* Wichtig in diesem Sinne H. A. Zachariae, St.R. II S. 116 u. 128, wo-
bei nur das alte jus eminens immer wieder dazwischen kommt; derselbe in Gött.
Gel.Anz. 1861 1S. 113. Mit durchschlagendem Erfolge, wenigstens soweit es
die kritische Abweisung der alten zivilrechtlichen Theorien anlangt, Laband im
Arch. f. civil. Pr. LII S. 169. — Daß sich auch die Lehrbücher des Deutschen
Privatrechts dieser Auffassung allmählich fügen, ist besonders anerkennenswert:
sie berauben sich dadurch ja eigentlich der Zuständigkeit zur Behandlung dieses
Rechtsinstituts, auf die sie gleichwohl nicht verzichten wollen. Vgl. Roth, D.
PrR.UIS. 256; Beseler, D. Pr.R. Aufl. v. 1885 I S. 382 Note 5 (unter Widerruf
der früher vorgetragenen Annahme eines notwendigen Verkaufs). Umgekehrt aller-
dings Gerber, D. Pr.R. Aufl. v. 1886 S. 321 Note 1: Nachdem er früher die Ex-
propriation als einseitigen Akt aufgefaßt, habe er sich jetzt überzeugt, „daß allein
die Auffassung als eines Zwangskaufs berechtigt ist“.
*H. A. Zachariae in Gött. Gel.Anz. 1861 I S. 119: „Die lex specialis ist
der Entstehungsgrund des Verhältnisses in concreto.“ Die Enteignung ist „eine
durch die lex specialis hervorgerufene vermögensrechtliche Benachteiligung“.
Ebenso Gruchot in Beitr. zur Erl. d. Preuß. R. IX 8. 83: „Die Expropriation
vollzieht sich schon mit dem staatsrechtlichen Akt der Enteignung, also mit der
“irklichen Durchführung der gegebenen lex specialis.“ Die Expropriation, die