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9. Wahlen und Entlassungen. Soweit nicht die Verfassung
oder die Geschäftsordnung der Bürgerschaft abweichende Vorschriften
enthält, erfolgen die von der Bürgerschaft vorzunehmenden Wahlen durch
relative Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.
Gesuche um Entlassung aus einem Ehrenamte, aus welchem die
Bürgerschaft zu entlassen befugt ist (s. oben S. 147), werden beim
Senate eingebracht und von diesem dem Präsidenten der Bürgerschaft
zugestellt, welcher dieselben an den Wahlprüfungsausschuß zur Bericht—
erstattung verweist. Nach eingegangenem Bericht entscheidet die Bürger-
schaft nach einmaliger Beratung durch einfache Stimmenmehrheit.
10. Eingaben an die Bürgerschaft müssen schriftlich und,
sofern sie nicht von Behörden ausgehen, immer durch ein Mitglied
der Versammlung, welches sich dadurch mit ihrem Inhalt einverstan-
den erklärt, dem Präsidenten übermittelt werden.s Der Präsident hat
Ausschuß erklärte sich gewiß mit Recht gegen solche Bestimmung (Ausschußberichte
der Bürgerschaft 1881, No. 6); doch irrte er, wenn er meinte, daß dieselbe eine „sich
nirgends sonst findende hamburgische Besonderheit“ sei. Abgesehen von Bremen,
stimmt auch in Württemberg und in England der Vorsitzende nicht mit; nur
bei Stimmengleichheit giebt er dort den Ausschlag, jedoch in England, alter Sitte
gemäß, möglichst ohne dadurch einc definitive Entscheidung herbeizuführen. (Vgl.
May, Das englische Parlament und sein Verfahren, übersetzt von Oppenheim,
2. Aufl., 1880. S. 357.)
In der Bremer Geschäftsordnung ist noch bestimmt: „Wer an der ersten
Abstimmung über einen Antrag nicht teilgenommen hat, nimmt auch an der
Gegenprobe oder der namentlichen Abstimmung nicht teil“ (8 50), und in der
Lübecker: „Wer sich der Abstimmung enthalten will, hat dies zu erklären,
bevor zur Abstimmung geschritten wird“ (8 62).
1 Geschäftsordnung § 5. Alle in derselben Sitzung vorzunehmenden Wahlen
von Ausschuß und Deputationsmitgliedern können zu einer Wahlhandlung ver-
bunden werden.
2 Geschäftsordnung § 67. Von dem Ergebnisse der Abstimmung wird dem
Präsidenten des Senats Anzeige gemacht.
* Verf. Art. 46, Abs. 4. Diese verfassungsmäßige Einschränkung des sonst
fast überall zugestandenen allgemeinen Petitionsrechtes an die Volksvertretung ist
eine hamburgische Singularität, die, wenn man sie auch praktisch für wenig
relevant erachten mag, wohl nicht genügend gerechtfertigt erscheinen kann.
Der Zusatz: „Sofern sie nicht von Behörden ausgehen“ ist eigentümlich.
Ein Recht der hamburgischen Behörden, selbständig, ohne Genehmigung des ihnen
vorgesetzten Senats, Eingaben an die Bürgerschaft zu richten, kann jedenfalls aus
demselben nicht gefolgert werden. (Bemerkt mag noch werden, daß der betreffende
Zusatz im 8 70 der Geschäftsordnung der Bürgerschaft unberücksichtigt gelassen ist.)