Zwölfter Abschnitt.
Staat und Kirche.
965.
Bis zur Einführung der neuen Verfassung waren in Hamburg
der Staat und die evangelisch-lutherische Kirche auf das engste ver-
bunden. Die Kirchspiele der Stadt hatten zugleich kirchliche und
politische Bedeutung, und ihre Vertreter, die sog. bürgerlichen Kirchen-
kollegien, bildeten einen wesentlichen Faktor im Staatsleben.1 Die
neue Verfassung dagegen ging von dem Princip einer möglichst weit-
gehenden Trennung zwischen dem Staat und der bisherigen Staats-
kirche aus.?
I. Im staatlichen Leben kommt das Religionsbekenntnis des
Einzelnen garnicht in Betracht. Dies ergiebt sich jetzt schon aus dem
Reichsgesetz betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürger-
licher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 3. Juli 1869.3 Schon
Im Jahre 1819 ward beschlossen, daß auch „nichtlutherische christliche
Religions-Verwandte“ in den Rat gewählt werden könnten. Im Jahre 1849
wurden auch die Israeliten, welche bisher sozusagen einen Staat im Staate ge-
bildet hatten, zum Bürgerrecht zugelassen.
Die erste (1883 revidierte) Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche im
hamburgischen Staate (vom 9. Dez. 1876) ist vom Senat und den Sechzigern in
Gemäßheit eines ihnen durch Gesetz dazu erteilten Auftrages festgestellt. 1874 ist
durch Beschluß von Senat und Bürgerschaft der evangelisch lutherischen Kirche zur
definitiven Erledigung ihrer historisch begründeten finanziellen Ansprüche ein Kapital
überwiesen und eine feste Jahresrente zugesichert.
Nach demselben ist auch eine Verpflichtung, irgend einer Religionsgemein-
schaft anzugehören, im Deutschen Reich nicht vorhanden. (Vgl. Beiblatt zur
Hanseat. Gerichtsztg. 1888, S. 91.)