Zweiter Abschnitt.
Verhältnis Hamburgs zum Reich.
83.
In der neueren deutschen Staatsrechtslitteratur ist allgemein an-
erkannt, daß der Vollbegriff der Souveränetät jetzt nicht mehr, 4
wie zu Zeiten des Deutschen Bundes, auf die deutschen. Einzelstaaten,
Anwendung finden kann. Der hervorragendste Vertreter des Reichs-
staatsrechts, Laband, spricht den Einzelstaaten die Eigenschaft der.
Souveränetät ganz ab.! Er definiert die Souveränetät als „die
höchste, oberste Gewalt, « deren wesentliches — der Natur des Begriffes
nach negatives — Moment darin bestehe, daß sie keine Gewalt
über sich habe, welcher die Befugnis zustehe, ihr rechtlich bindende
Befehle zu erteilen. Hiervon ausgehend, folgert. er dann: Die Sou-
veränctät ist eine Eigenschaft absoluten Charakters, die keine Steigerung 6
und keine Verminderung zuläßt, die entweder vorhanden ist oder fehlt.
Es giebt keine halbe, geteilte, verminderte, abhängige, relative Souve-
ränctät, sondern nur Souveränctät oder Nichtsouveränetät. Demgemäß
kommt nach Laband die Sonveränctet in Deutschland dem Reiche
und nur ihm zu.
Dieser Auffassung, welche wohl mit der Zeit allgemein anerkannt
werden dürfte, steht heute noch die anderer namhafter Staatsrechtslehrer
gegenüber. Einzelne derselben teilen den Einzelstaaten eine zu Gunsten
des Reichs eingeschränkte Souvecränetät zu, andere aber konstruteren eine
Teilung der Souveränetät zwischen Reich und Einzelstaaten.
1 Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 2. Aufl. Bo. 1, 1888, S. 67.
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