Full text: Das Hamburgische Staatsrecht.

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sollte nun dem Senate, dem die alleinige Ausübung der Regierungs- 
rechte übertragen ist, nicht auch für den Fall ernsterer Differenzen 
zwischen ihm und der Bürgerschaft die Befugnis eingeräumt werden 
können, die Mandatsdauer der jeweiligen Bürgerschaftsmitglieder ab— 
zukürzen und die Mandanten jener, unter allen Umständen nur zeit- 
weiligen Teilnehmer an der Mitinhaberschaft der höchsten Staatsgewalt, 
die Bürgerschaftswähler, schon früher, als es sonst geschehen wäre, 
wieder an die Wahlurne zu rufen? Ein irgendwie stichhaltiger 
Grund dafür ist bisher von keiner Seite angegeben und dürfte auch 
wohl nicht so leicht zu finden sein. 
In der alten hamburgischen Verfassung konnte, da die Erbge- 
sessene Bürgerschaft nicht aus Wahlen hervorgegangen war, von 
einem Auflösungsrecht nicht die Rede sein. Den Vätern der Konsti- 
tuantenverfassung von 1849 ferner schien ein solches Recht mit den 
radikalen Grundzügen ihres Werkes nicht vereinbar. Statt dessen 
räumten sie lieber der allein gesetzgebenden Bürgerschaft — einem suspen- 
siven Veto des Rats gegenüber unter gewissen Voraussetzungen — das 
Recht ein, „durch Beschluß der Mehrzahl sämtlicher Mitglieder ihre 
sofortige Erneuerung herbeizuführen“, d. h. also sich selbst aufzulösen.! 
Dagegen nahmen die Mitglieder der sog. Neunerkommission in den 
von ihnen nach dem Scheitern der Konstituantenverfassung ausgear- 
beiteten neuen Verfassungsentwurf ohne Anstand ein im Falle von 
Meinungsverschiedenheiten dem Senat zustehendes Auflösungsrecht auf 
und ließen demselben nur — was hier nicht weiter in Betracht kom- 
men kann — ein Selbstauflösungsrecht der Bürgerschaft gegenüber- 
stehen.? Dieser Verfassungsentwurf ward auch 1850 vom Senat und 
der Erbgesessenen Bürgerschaft genehmigt und gelangte nur infolge 
einer Intervention des Verfassungsausschusses des Deutschen Bundes- 
tages nicht zur Ausführung. Erst 10 Jahre später ward er in revi- 
dierter Form zur sog. neuen hamburgischen Verfassung. Die mit ihm 
vorgenommene Revision aber lief im wesentlichen auf eine Vergrößerung 
der Machtvollkommenheiten des Senats hinaus. Insbesondere wurden 
  
1 Konstituantenverfassung Art. 77. 
* Vgl. Wolffson, a. a. O., S. 5. Es mag hinzugefügt werden, daß in 
diesem Entwurf der Neunerkommission auch der mehrerwähnte Abs. 1 des Art. 6 
der gegenwärtigen Verfassung fehlte.
	        
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