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jetzt Senat und Bürgerschaft in Bezug auf die Ausübung der Gesetz-
gebung einander vollkommen gleichgestellt. Demgemäß wurde dann nicht
mehr, wie früher, bestimmt, daß bei Dissensen zwischen beiden Körper-
schaften nach voraufgegangener Auflösung der derzeitigen Bürgerschaft
— sei es durch den Senat, sei es durch sie selbst — die neu zu er-
wählende Bürgerschaft allein und definitiv entscheiden solle, sondern
daß statt dessen, wie bereits oben erwähnt, nach erfolglosem Zusammen-
treten einer Vermittlungsdeputation, eventuell eine, wie diese, aus
Mitgliedern von Senat und Bürgerschaft zusammengesetzte Entscheidungs-
deputation und, falls es sich um eine Rechtsfrage handele, das Ober-
appellationsgericht der freien Städte zu Lübeck die Differenz erledigen
solle. So fiel das vorgeschlagene Auflösungsrecht des Senats —
nicht weil man dasselbe für unmöglich oder für inkonsequent, sondern
weil man es nach dem Rückgriff auf die Entscheidungsdeputation der
alten Verfassung für überflüssig erachtete. —
Nach alledem wird man nicht mit den oben erwähnten Autoren
sagen können, daß der hamburgischen Bürgerschaft, weil sie nach
Art. 6 der Verfassung als Mitinhaberin der höchsten Staatsgewalt
gilt, eine besonders selbständige Stellung dem Senate gegenüber ein-
geräumt ist. Auch in dieser Beziehung sind also aus dem mehr-
erwähnten Art. 6 Abs. 1 der Verfassung praktische Folgerungen nicht
gezogen. Die der Bürgerschaft zugewiesene Mitinhaberschaft der
höchsten Staatsgewalt ist, von welchem Gesichtspunkte aus man sie
auch betrachtet, ein rein theoretisches Recht, das als solches sozu-
sagen in der Luft schwebt. Würde man den — auch in den ersten
Entwürfen der Neunerkommission gar nicht enthaltenen, sondern erst
nachträglich eingefügten — Art. 6 Abs. 1 der Verfassung einfach
streichen oder durch eine andere allgemeine Bestimmung ersetzen —
wie z. B. durch die, daß Inhaberin der Souveränetät der Staat
oder das Volk! oder Gott weiß wer sonst sei — so würde dadurch
# Grotefend nimmt, wie manche andere Staatsrechtslehrer, an, der
Träger der Souveränetät in den Hansestädten (wie in jeder Republik) sei „die als
subjektive Einheit gedachte Gesamtheit des Volkes", diese Gesamtheit aber „ver-
wirkliche ihre Souveränetät durch das Organ einer dazu berufenen höchsten Be-
hörde, des Senats“. (Das Deutsche Staatsrecht der Gegenwart, S. 759 u. 296).
An anderer Stelle (S. 760) sagt derselbe Autor, zum Teil dem Vorstehenden
v. Melle, Hamburg. Staatsrecht. 4