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keinerlei Anderung des hamburgischen Staatsrechts herbeigeführt
werden können. Es kommt eben im Staatsleben nicht darauf an,
wem die nackte Inhaberschaft von Hoheitsrechten, ohne die Befugnis
ihrer Ausübung, sondern wem die letztere zusteht.!
8 16.
Im Anschluß an die vorstehenden Erörterungen ist endlich noch
zu prüfen, was sich aus den letzten Worten des Art. 6, Abs. 2 der
Verfassung (die Ausübung der richterlichen Gewalt steht den Gerichten
zu) für die Stellung der Rechtspflege gegenüber der sog. vollziehenden
und gesetzgebenden Gewalt, welche vom Senat resp. von Senat und
Bürgerschaft ausgeübt werden sollen, ergiebt.
Die Dreiteilung der Staatsgewalt in eine gesetzgebende, eine
vollziehende und eine richterliche Gewalt ist bekanntlich von Montes-
quieu eingeführt; die auf dieselbe basierte Theorie aber, daß nach
konstitutionellem Staatsrecht diese drei Gewalten ganz selbständig und
gleichberechtigt neben einander stehen müßten, ist von der neueren
widersprechend, „die in dem Ganzen des Volkes beruhende Souveränetät des
republikanischen Staates repräsentiere sich als eine reale Macht in dem Senat
und in der Bürgerschaft“. „Diese beiden Institute“, so fährt er fort, „sind nicht,
wie der Monarch, die subjektiven Träger der Staatsgewalt, sondern nur das
Organ derselben, und zwar das einzige.“ Die Fassung des Art. 6, Abs. 1 der
hamburg. Verfassung bezeichnet Grotefend als „sehr ungeschickt". „Die Staats-
gewalt“, so fügt er hinzu, „ist doch nur eine einige.“ Wenn Zacharige
(Deutsches Staatsrecht § 124, II) sage, daß die Bürgerschaft wenigstens als
wirklicher Mitsouverän zu betrachten sei, so müsse dagegen bemerkt werden, daß
die Bürgerschaft (im Sinne der Verfassungsgesetze) nur ein Organ der souveränen
Gewalt sei.
1 Übrigens mag noch hervorgehoben werden, daß auch der formelle Unter-
schied zwischen „Inhaberschaft" und „Ausübungsrecht“ nicht immer streng fest-
gehalten ist. Im Art. 19 der Verfassung heißt es nämlich: „Der Senat, als
Inhaber der vollziehenden Gewalt“ u. s. w. — Charakteristisch ist ferner, daß
eins der hervorragendsten Mitglieder der Neunerkommission — der spätere Bürger-
meister Dr. Petersen — in einer 1851 (anonym) veröffentlichten Schrift hervor-
hob, daß nach der Neunerverfassung „die höchste Staatsgewalt, die gesetz-
gebende Macht von Rat und Bürgerschaft in unzertrennlicher Vereinigung
ausgeübt wird.“ (Die Hamburger Verfassungssache, Hamburg, Perthes, Besser
und Mauke, 1851, S. 6.) Man darf hiernach wohl annehmen, daß die Bäter
der neuen Verfassung unter der höchsten Staatsgewalt nur die Gesetzgebung ver-
standen.