Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

720 Allgemeines Wahlrecht. 
unseres Theiles stehen nun aber nicht an, diese ganze Auffassung für eine 
gründlich falsche, ihren Sieg für eine walıre Calamität zu betrachten. Man 
sehe nur einmal, wohin es in den Vereinigten Staaten mit allen Öffentlichen 
Aemiern bei diesem Principe gekoinmen ist. Man hat wohl geglaubt, diesem 
Uebelstande dadurclı entgegenzuwirken, dass den Gewällten keinerlei Ver- 
.gütung ihrer Auslagen zu Theil werden soll, indem auf diese Weise nur 
Wohlbabende, im Zweifel also Gebildetere, eine Wahl annehmen können. 
Allein diese mittelbare Remedur hat sich nicht bewährt; die Diätenlosigkeit 
war nirgends ein Hindorniss gegen unerwünschte Wahlen. Auch ist mehr 
als zweifelbaft, ob sich diese Bestimmung auf die Dauer wird aufrecht er- 
halten lassen; diess aber um so mehr, als sie in der That nicht im Ein- 
klange mit dem ganzen Gedanken steht. Eine Uebernalme unentgeltlicher 
Dienste ist naturgemäss in einer herrschenden Aristrokratie, welche sich 
dadurch einen moralischen Anspruch auf Ueberlassung der Geschäfte erwirbt 
und überdiess einen allzugrossen Zudrang in ihren eigenen Reihen abhält; 
allein in der Demokratie (und hier handelt es sich von einer extremen 
demokratischen Einrichtung) ist Bezahlung der Dienstleistungen eine die 
wirkliche Gleichheit der Rechte thatsächlich befestigende Forderung. Ganz 
folgerichtig wurde in Athen der Bürger für seine Anwesenheit in der 
regierenden Volksversammlung bezahlt. — Zweitens ist einleuchtend, auch 
durch die Erfahrung bereits erwiesen, dass Wahlen, welche in grossen Be- 
zirken von der gesammten Volksmenge vorgenommen werden sollen, einer 
planmässigen Leitung und Beeinflussung unterworfen sein müssen, wenn sie 
nicht ganz auseinander fallen und gar kein Ergebniss geben sollen. Wenn 
nun allerdings diese Leitung in den Städten den orguanis'rten politischen 
Parteien zufallen mag, so ist für sic auf dem flachen Lande nicht viel zu 
boffen, Der gebildete Bürgerstand hat hier keinen genügenden Einfluss auf 
die grosse Masse. Ohne Zweifel war auf den Einfluss der Beamten ge- 
reclinet, wenn man auch, bis itzt wenigstens, nicht bis zur förmlichen Auf- 
stellung von Regierungscandidaten gegangen ist; allein man hat dabei 
zweierlei vergessen. Einmal, dass es möglicher Weise auclı organisirten 
Einfluss geben kann, welcher der Menge näher stebt und für sie bestimmen- 
der ist, als der der Regierung; zweitens, dass eine sichere Wirksamkeit 
des letzteren eine Reihe von Beschränkungen voraussetzt, welche in Deutsch- 
land nicht bestehen, nämlich der Presse, des Vereins- und Versammlungs- 
rechtes, der Bearbeitung auf der Kanzel und in der Sacristei. So ist es 
denn gleich bei der ersten Wahl in das Zollparlament gekommen, dass da, 
wo sich der scharf disciplinirte katholische Clerus die Wahlen zu bestimmen 
entschloss, er ganz unerwartete Erfolge gehabt hat, der Regierungseinfluss 
wie die Spreu vor dem Winde zerstäubte.e Dass sich dieses nicht nur 
wiederholen, sondern, nach der einmal gemachten Probe, bei weiteren
	        
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