g 24. Der Bundesstaat. 101
Unter der Motiven, welche die Bildung von Bundesstaaten bestimmen,
kommt der einheitlichen Verwertung der Machtmittel der Gliedstaaten zum
Zwecke der Sicherung ihrer Existenz und Schaffung einer höheren Macht-
stellung in der internationalen Gemeinschaft zweifellos primäre Bedeutung zu.
Dieser Umstand ist daher für die Verteilung der staatlichen Funktionen durch
die Bundesverfassung insofern in erster Reihe maßgebend, als der Zentral-
gewalt jedenfalls jene Funktionen zukommen müssen, die für die Geltung des
Bundesstaats als selbständige staatliche Persönlichkeit und für die Sicherung
seiner Existenz notwendig sind. Demzufolge ist im Bundesstaat das oberste
Bundesorgan Träger der Repräsentativgewalt und im Besitze der völkerrecht-
lichen Persönlichkeit. Der Bundesstaat übt die Souveränetät kraft eigenen
Rechts und im eigenen Namen nach außen aus. Die Zentralgewalt hat das
Recht, Krieg und Frieden zu erklären, Staatsverträge mit auswärtigen Staaten
abzuschließen, ferner das Recht, Gesandte zu schicken und zu empfangen. Hat
die Bundesverfassung den Gliedstaaten das Recht, Staatenverträge abzuschließen,
vorbehalten, so kann von diesem Rechte doch nur innerhalb der den Glied-
staaten belassenen Kompetenz und im Einklang mit der auswärtigen Politik
des Bundesstaates Gebrauch gemacht werden. Die Gliedstaaten können also
keine politischen, die Gesamtinteressen des Bundesstaats berührenden Verträge
schließen, sie können insbesondere ohne Zustimmung der Zentralgewalt keine
Allianzen mit auswärtigen Staaten eingehen, oder in ein Bundesverhältnis oder
in das Verhältnis einer Realunion zu fremden Staaten treten. Die Zustim-
mung der Bundesgewalt zu derlei Akten der Gliedstaaten bewirkt, daß das
Bündnis als vom Bundesstaate für den betreffenden Teil des Bundesgebietes
abgeschlossen gilt.) Ferner können die Gliedstaaten, wenn die Bundesver-
fassung nicht anders verfügt, Gesandte schicken und empfangen, vorausgesetzt,
daß dieser internationale Verkehr mit den Staaten stattfindet, welche von
der Zentralgewalt anerkannt sind und mit ihr in freundschaftlicher Beziehung
stehen. Die Gliedstaaten können auch unter einander in diplomatischen
Verkehr’ treten und im Rahmen ihrer Kompetenz Verträge schließen. 2) Strei-
tigkeiten der Gliedstaaten unter einander können nicht durch kriegerische
Selbsthilfe ausgetragen werden; für die friedliche Austragung des Streites ist
durch verfassungsmäßige Institutionen des Bundesstaates gesorgt. Der Zwang
der Bundesgewalt gegen den einzelnen Gliedstaat kann allerdings, weil gegen
einen Staat und nicht gegen Individuen gerichtet, nicht mit den Mitteln der
Zivil- oder Strafrechtspflege, sondern eventuell nur mit kriegerischen Macht-
mitteln (Exekutionsverfahren) geübt werden. Für den rechtlichen Charakter
dieses Zwangsverfahrens ist der Umstand maßgebend, daß eine übergeordnete
Gewalt gegen ein Glied des Staates seine ordnende Macht ausübt; es handelt
sich also nicht um einen kriegerischen Vorgang unter gleichberechtigten
’ölkerrechtssubjekten.?) — Das Subjektionsverhältnis der Gliedstaaten gegen-
ı) Jellinek, Staatenverbindungen S. 292.
2) So die deutschen Einzelstaaten und die schweizerischen Kantone; die Staaten der
nordamerikanischen Union können nur mit Genehmigung des Kongresses Verträge unter
einander schließen. 3) Vgl. Jellinok, Staatenverbindungen 8. 310 ff.