8 25. Halbsouveräne Staaten. 1. Vasallenstaaten. 103
zu einem Gegenstande des internationalen Rechts gemacht, indem die Pforte
in Angelegenheiten der Donaufürstentümer nicht mehr einseitig, sondern nur
im Einvernehmen mit den Großmächten vorgehen durfte!) In dem Pariser
und neuestens in dem Berliner Vertrage vom Jahre 1878 wurde die Autonomie
der Vasallenstaaten völkerrechtlich sanktioniert. Der Pforte ist das Recht
der Anerkennung des Staatsoberhaupts bei seinem Regierungsantritt vorbe-
halten.2) Das Staatsoberhaupt des Vasallenstaates ist oberster Kriegsherr;
das Heer soll nur zur Verteidigung und Aufrechterhaltung der inneren Ord-
nung verwendet werden. Das Abhängigkeitsverhältnis kommt in der Pflicht
zur Zahlung eines Tributs und in der Pflicht zu Treue und Gehorsam gegen
den Suzerän, vornehmlich aber darin zum Ausdruck, daß die von der Pforte
geschlossenen Verträge ipso jure auch für die Vasallenstaaten, soweit sie nicht
speziell ausgenommen sind, gelten), und die Vasallenstaaten keine Verträge
abschließen dürfen !), welche mit ihrer Stellung gegenüber der Pforte unver-
einbar sind.®) Die diplomatische Vertretung kommt dem Suzerän zu; dieser
hat die Vasallenstaaten und deren Angehörige nach außen zu vertreten und
zu schützen, insoweit nicht, wie oben bemerkt — dem Vasallen das aktive
bezw. auch das passive Gesandschaftsrecht zugestanden ist. Dritten Staaten
steht es frei, Konsulen als diplomatische Agenten bei dem Vasallenstaate zu
akkreditieren. — In dem Verhältnis der Pforte zu ihren christlichen Vasallen-
staaten mußte der Gegensatz der Religion und der gesamten Weltanschauung
einen bedeutsamen Faktor und die Quelle zentrifugaler Bestrebungen bilden,
deren Wirkungen in der stetigen Lockerung des staatsrechtlichen Verbandes
und schließlich in dem Eingreifen der europäischen Mächte zum Schutze von
Interessen sich äußern, welche die europäische Zivilisation als solidarische Inter-
essen und als Gegenstand der völkerrechtlichen Schutzaufgabe erkennt. Dabei
kamen allerdings auch wichtige politische Interessen, die mit der Erhaltung
des Gleichgewichts der europäischen Mächte zusammenhängen, in Frage, deren
Geltendmachung hinwieder der Erhaltung der Selbständigkeit der Pforte förder-
lich waren. Dagegen besteht bezüglich des Verhältnisses der Pforte zu ihren
mohamedanischen Vasallenstaaten ®) in der gemeinsamen Religion ein mächtiges
Bindemittel in politischer Beziehung. Trotzdem vermißt man in jenem Ver-
hältnisse eine organische Gestaltung und war die Pforte nicht imstande, die
1) Nach Art. 27 des Pariser Vertrags durfte die Pforte insbesondere nicht ohne Zu-
stimmung der Mächte in den Donaufürstentümern mit Waffengewalt intervenieren.
2) Sie erfolgt durch Erteilung des Berat — eines Lehnsbriefes. — Für die Moldau und
Walachei galt dies seit dem Frieden von Adrianopel; für Bulgarien ist Art. 3 des Berliner
Vertrags maßgobend.
3) Bezüglich der Donaufürstentümer durch den auf der Konferenz zu Paris am 19. August
1958 von den Großmächten abgeschlossenen Vertrag ausdrücklich anerkannt.
4) Das Vertragsschlicßungsrecht beschränkt ‘sich zumeist auf Handels- und Verkehrs-
verträge.
u Vgl. Jellinek, Staatenverbindungen S. 149, 150, wo die Beziehungen der Pforte
zu den Vasallenstaaten gerade mit Rücksicht auf das bedeutsame Souveränitätsrecht der
Pforte, kraft dessen Staatsverträge der Pforte auch für die Vasallenstaaten Geltung besitzen,
erörtert werden.
6) Vgl. Jellinek, Staatenverbindungen S. 150 ff.