Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

106 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. $ 26. 
  
mehreren Staaten), das in materieller Beziehung auf dem dauernden Be- 
dürfnis des Schutzes eines schwächeren Staates durch einen stärkeren beruht 
und in formal-juristischer Beziehung sich als ein Verhältnis der Abhängig- 
keit des geschützten Staates (Unterstaates) gegenüber dem schützenden Staate 
(Oberstaat) darstellt. Der Schutz wird gegen Einräumung eines gewissen Ein- 
flusses auf die auswärtigen Angelegenheiten zugesichert und unter gewissen 
Voraussetzungen gewährt.1) Der Unterstaat bleibt als Staat bestehen; der 
Einbuße an Handlungsfähigkeit in auswärtigen Angelegenheiten steht zunächst 
eine Verstärkung der eigenen staatlichen Kräfte zur Erhaltung der staat- 
lichen Existenz gegenüber. Eine Frage der weiteren politischen Entwicklung 
solcher Verhältnisse bleibt es, ob das Schutzverhältnis nicht schließlich 
zu einem vollen Abhängigkeitsverhältnis in bestimmter staatsrechtlicher 
Form umgestaltet wird. Die politischen Motive der Übernahme einer der- 
artigen schützenden Stellung gegenüber einem dritten Staate lassen sich nicht 
auf eine einheitliche Formel zurückführen; sie sind anderer Art in den Fällen 
des Protektorats unter europäischen Staaten und in jenen zahlreicheren Fällen 
der Übernahme des Protektorats gegenüber überseeischen Staaten; dort — 
wie z. B. bei der Begründung des Kollektivprotektorats Österreichs, Preußens 
und Rußlands über Krakau?) (1815—1846) — sind es Fragen der europäischen 
Politik, auch wohl politischer Rivalität, hier die Gewinnung politischen Ein- 
flusses in überseeischen Ländern — vielfach im Zusammenhange mit kolonialen 
Bestrebungen.3) Die letzteren haben eine überwiegend politische Bedeutung. 
Für die innere Gestaltung dieser Protektoratsverhältnisse ist der Unterschied 
der Zivilisation und der Rechtskultur von entscheidendem Gewicht; die prä- 
valierende politische und moralische Macht des Oberstaats gibt dem Ab- 
hängigkeitsverhältnis ein bestimmtes Gepräge und äußert für die weitere Ge- 
staltung des Verhältnisses intensivere Wirkungen als dies in Protektorats- 
verhältnissen unter Staaten gleicher Zivilisation und infolge ihrer Stellung 
innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft *) möglich ist. Der ganze Vor- 
gang ist zumeist auf eine künftige Inkorporation gerichtet, wie sich dies z. B. 
bei der Annexion Madagaskars durch Frankreich 1896 gezeigt hat. Mag 
  
1) Zum Unterschiede von dem durch Protektoratsverträge von Staaten mit barbarischen 
Stämmen begründeten Verhältnisse. Das Nähere darüber unten in der Lehre von den Kolonien 
und der Okkupation. Vgl. Heilborn, Völkerrechtl. Protektorat S. 58ff. Rouard de Card, 
Les trait&s de protectorat (1896); Gairal, Le protectorat international (1596); Engelhardt, 
Les protectorats anciens et modernes (1896). 
.2) Jellinek, Staatslehre 652 betont in seiner Begriffsbestimmung des Protektorats, 
daß sich ‘der Unterstaat vom Oberstaat die Art seines Verhaltens zu dritten Mächten vor- 
schreiben lassen muß. 
3) Die Stellung Krakaus und der jonischen Inseln werden von Bornhak, Allg. 
Staatslehre 217 nicht als Protektorate bezeichnet. Krakau sei ein Kondominat der drei Groß- 
mächte Österreich, Preußen, Rußland und die jonischen Inseln seien ein Besitz der britischen 
Krone gewesen. 
4) Vgl. Heilborn, Völkerrechtl. Protektorat S. 36 ff. 
5) Bemerkenswert ist in dieser Beziehung der allerdings unwirksam gebliebene Protest 
Englands und Frankreichs gegen die durch Abkommen vom 6. Nov. 1846 erfolgte Ver- 
einigung Krakaus mit Österreich.
	        
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