& 26. Halbsouveräne Staaten. 2. Das völkerrechtliche Protektorat. 109
bestellen, ist nicht regelmäßig mit dem Gesandtschaftsrecht verknüpft; zu-
weilen übt der ÖOberstaat die diplomatische Vertretung und überläßt dem
Unterstaat die Bestellung von Konsulen.!) Was den Empfang fremder Kon-
sulen betrifft, so wird der mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten
und der Vertretung des Unterstaates betraute Oberstaat zu entscheiden
haben, da es sich hier um eine Konzession an einen auswärtigen Staat handelt.
Die Erteilung des Exequatur ist dagegen allgemein als eine Befugnis des
Unterstaates aufzufassen. 2) — Das Recht des Unterstaates, Staatenverträge
abzuschließen, ist durch das Protektorat insofern beschränkt, als betreffende
Verträge nur vom ÖOberstaate im Namen des Unterstaates oder von diesem
mit Genehmigung des ersteren abgeschlossen werden können.?) In letzterem
Falle ist die Gültigkeit des Vertrags von der erfolgten Genehmigung abhängig.
Eine formelle Scheidung von Verträgen, welche das Interesse des Oberstaates
nicht berühren (Verträge über Rechtshilfe u. s. w.), daher der Genehmigung
des Oberstaates nicht bedürfen *), und allen anderen Verträgen ist praktisch
undurchführbar.:) Die Stellung des Oberstaates und sein Interesse an der
auswärtigen Politik des Unterstaates rechtfertigt vielmehr eine allgemeine
Kontrolle der Vertragsverhandlungen des Unterstaates.
IV. Eine besondere Art von Protektoratsverträgen sind jene, durch welche
mehrere Staaten gemeinschaftlich das Protektorat über einen Staat über-
nehmen: das sogen. Kollektivprotektorat. Ein solches war das schon
oben erwähnte Protektorat über Krakau; hieher gehört derzeit das Protektorat
Spaniens ®) und Frankreichs über Andorra, ferner Deutschlands, Großbritanniens
und der Vereinigten Staaten von Nordamerika über die Samoa-Inseln. Das
Protektorat über Krakau, sowie jenes Großbritanniens über die jonischen
Inseln weisen ‚bezüglich ihrer Entstehung eine Besonderheit auf. In beiden
Fällen wurde das Protektorat den betreffenden Staaten bei ihrer Gründung
durch die beteiligten Großmächte auferlegt; die Begründung des Protektorats
vollzog sich hier auf Grund eines Beschlusses der Mächte; eine Zu-
stimmung der Unterstaaten, die bei der regelmäßigen Begründung des Pro-
tektorats durch Vertrag unerläßlich ist, war in jenen Fällen ausgeschlossen,
da die Gründung der betreffenden Staaten in der Art erfolgte, daß sie gleich-
zeitig als protegierte Staaten erklärt wurden’). — Das Kollektivprotektorat
wird von den Oberstaaten gemeinschaftlich ausgeübt; die Schutzpflicht
kann aber von dem einzelnen der mehreren Oberstaaten erfüllt werden, da
der Zweck des Protektorats unerfüllbar werden könnte, wenn die Erfüllung
der Pflicht von dem Einvernehmen der mehreren Oberstaaten abhängig wäre.
1) Frankreich entzieht seinen Unterstaaten auch das Recht, Konsuln zu bestellen.
2) Über das unkorrekte Verhalten Frankreichs gegenüber Madagaskar im Jalıre 1887 vgl.
Heilborna.a. 0. S.96, 97, wo zugleich auf den anderweiten Standpunkt der französischen
Regierung gegenüber Annam im Jahre 1879 verwiesen wird.
3) Vgl. im Allgemeinen Heilborna.a.0. S. 98 ff.
4) v. Holtzendorff, HH II S. 104.
5) Heilborna.a. 0. S. 102.
6) Vermittelt durch den Bischof von Urgel.
7) Vgl. Heilborna.a.0. S. Saft.