8 27. Neutralisierte Staaten, neutralisierte sonstige Gebiete. 113
schlossen.!) Hier können sich jedoch Schwierigkeiten ergeben, wenn die
Nentralität und deren Garantie seitens der Mächte nicht auf den neuen
Gebietszuwachs ausgedehnt wird, insofern die Erhaltung des letzteren den
neutralisierten Staat zu kriegerischen Aktionen nötigen kann. An sich er-
streckt sich die Garantie der Vertragsmächte nicht auf die neuen Erwerbungen.
— Auch der Eintritt des neutralisierten Staates in einen Zoll-
verband mit dritten Staaten ist mit seiner Stellung unvereinbar, da die
Verschärfung von Interessenkollisionen auf ökonomischem Gebiete eine even-
tuclle kriegerische Aktion nicht ausschließt.2) — Dagegen ist der neutralisierte
Staat berechtigt, alle Arten von Verträgen mit dritten Staaten ab-
zuschließen, durch welche nach der Natur ihres Gegenstandes kriegerische
Verwicklungen nicht entstehen können. Hieher gehören Handels- und Schiff-
fahrsverträge, Jurisdiktionsverträge, insbesondere Auslieferungsverträge u. s. w.
Ferner kann der neutralisierte Staat Mitglied der völkerrechtlichen
Verwaltungsvereine und Unionen sein; die für die Lösung der Auf-
gaben dieser Vereine erforderlichen internationalen Organe (Ämter, Bureaux)
sind teilweise in neutralisierten Ländern eingerichtet worden.
Die positive Wirkung der Neutralisierung eines Staates Äußert sich
in dessen Recht bezw. Pflicht, die ihm auferlegte Neutralität gegen Angriffe
oder Bedrohungen zu verteidigen. Zu diesem Zwecke ist er berechtigt, das
Land zu befestigen und seine Armee sowohl auf dem Friedens- wie auf dem
Kriegsfuße entsprechend zu ergänzen. Die Verteidigungspflicht erfährt eine
Modifikation, wenn der neutralisierte Staat völkerrechtlich verpflichtet wurde,
bestimmte befestigte Plätze zu schleifen, wie dies z. B. bezüglich Luxemburgs
bei der Neutralisierung dieses Landes im Jahre 1867 der Fall war.
III. Wie immer die politischen Motive der Neutralisierung eines Staates
beschaffen sein mögen — der Zweck dieser internationalen Maßregel kann
doch nur dadurch erreicht werden, daß die an der Schaffung des Verhältnisses
beteiligten Mächte die Fortexistenz und Unabhängigkeit des neutralisierten
Staates garantieren. In der Tat haben die Mächte in den Kollektivverträgen,
durch welche einzelne Länder neutralisiert wurden, gleichzeitig die Garantie
der Neutralität, der territorialen Integrität und Unabhängigkeit dieser Länder
regelmäßig 3) übernommen. Diese letzteren Zwecke werden allerdings auch
durch bloße Garantieverträge, deren Gegenstand die Integrität des Besitz-
standes und der Unabhängigkeit eines Landes bildet, verfolgt, so daß in diesem
Punkte die Stellung eines neutralisierten und eines solchen Staates, dessen
Besitzstand und Unabhängigkeit durch einen Garantievertrag garantiert sind,
identisch ist. Indessen, dem neutralisierten Staate sind doch nach dem oben
Gesagten mancherlei Beschränkungen auferlegt, die in den gewöhnlichen Fällen
1) Ebenso u. a. Westlake R XXXIII, 396, 397.
2) So mußte Frankreich im Jahre 1842 (unter Guizot) auf Einsprache Englands darauf
verzichten, mit Belgien in eine Zollunion zu treten. Nur ausnahmsweise gestattete man Luxen:-
burg bei der Neutralisierung dieses Landes im Jahre 1567, in dem deutschen Zollverein, dem
cs seit dem Jahre 1842 angehörte, zu verbleiben.
3) Vgl. Morandl. c. 525.
Ullmann, Völkerrecht. s