Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

114 Zweites Buch. Die Subjekte des Völkerrechts. $ 27. 
  
der Garantie der Unabhängigkeit eines Staates ausgeschlossen erscheinen. Gerade 
darin liegt aber auch zugleich der Grund der intensiveren Wirksamkeit der Neu- 
tralisierung eines Staates als Mittel zur Sicherung des analogen Zweckes. !) 
IV. Die Garantie der Neutralität verpflichtet die Kontrahenten zur Re- 
spektierung der Neutralität und zur Verteidigung des neutralisierten Landes 
gegen Angriffe und Bedrohungen seines Besitzstandes und seiner Unabhängig- 
keit. Die Erfüllung der Pflicht ist nicht an die Voraussetzung gebunden, dab 
der neutralisierte Staat die notwendig gewordene Hilfsaktion in Anspruch 
nimmt; die Kontrahenten, die an der Erhaltung des durch den Vertrag ge- 
schaffenen Zustandes interessiert sind, haben von sich aus — selbst gegen den 
Willen des neutralisierten Staates — einzugreifen. Der Charakter der Kollektiv- 
garantie bringt es mit sich, daß die Kontrahenten in gegenseitigem Einver- 
nehmen ihrer Schutzpflicht nachkommen; da es sich um die Wahrung eines 
gemeinsamen Interesses handelt, kann die Erfüllung der Schutzpflicht nicht 
einem der mehreren Kontrahenten allein auferlegt werden; anderseits kann 
auch jeder einzelne Kontrahent für sich allein für die Interessen des neutra- 
lisierten Landes eintreten. — Schwierigkeiten bezüglich der Erfüllung der 
Garantiepflicht können sich ergeben, wenn der neutralisierte Staat Kolonien 
oder andere Gebiete erworben hat, da unter Umständen nunmehr die bezüglich 
des Hauptlandes zur Zeit der Übernahme der Garantie gegebenen Voraus- 
setzungen insofern eine Veränderung erfahren konnten, als der neutralisierte 
Staat nunmehr die zur Verteidigung der Neutralität des Hauptlandes zu ver- 
wendenden Machtmittel teilweise auch zur Verteidigung der Kolonien ver- 
wenden muß.2) — Im Falle des Ausbruchs eines Krieges zwischen zwei Kon- 
trahenten können die übrigen Kontrahenten durch Konventionen mit den 
Belligerenten die Neutralität des Landes gegen Verletzungen seitens eines 
der Belligerenten schützen.) — Aus der Natur der vertragsmäßigen 
Neutralität ergibt sich, daß der neutralisierte Staat nicht einseitig aus 
seiner singulären Stellung und auch keine an dem Neutralisierungsakte be- 
teiligte Macht (kein Garant) aus dem Vertragsverhältnisse einseitig ausscheiden 
kann.*) Dagegen kann die freiwillige Neutralisierung eines Staates 
von diesem widerrufen werden. 
  
1) Die Neutralität der schweizerischen Eidgenossenschaft ist infolge der Erklärung des 
Wiener Kongresses vom 20. März 1815 durch die Urkunde der acht Mächte (der fünf Groß- 
mächte, sodann Spaniens, Portugals und Schwedens) vom 20. November 1815 garantiert; die 
Neutralität und Unabhängigkeit Belgiens ist von den fünf Großmächten garantiert; ebenso 
ist die Neutralität Luxemburgs von den Vertragsmächten (mit Ausnahme Belgiens) garantiert. 
Die durch Vertrag der fünf Großmächte vonı 14. November 1863 vereinbarte Neutralität dor 
jonischen Inseln wurde nicht gleichzeitig unter die Garantie der Kontrahenten gestellt: diese 
verpflichten sich in Art. 2 des Vertrages lediglich „A respecter le principe de neutralit& stipule 
par le present article“. 
2) Westlake Il. c. 397 gelangt daher bei der Prüfung dieser Frage mit Recht zu dem 
Schlusse, daß neutralisierte Staaten Annexionen ohne voraufgehende Verständigung mit den 
Garanten bezüglich eventueller künftiger Garantieleistung nicht riskieren sollen. 
3) Dies geschah im deutsch-französischen Kriege 1670 seitens Englands bezüglich Belgiens 
durch Konventionen mit Frankreich und der deutschen Kriegsleitung. 
4) Vgl. Westlake R XXXIIlI, 393, 394.
	        
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